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Aufschwung und Krise: Zwei Seiten derselben Medaille

Interview der Woche von Ulla Lötzer,

Ulla Lötzer analysiert im INTERVIEW DER WOCHE das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Aufschwung in Deutschland und Euro-Krise. In der letzten Lohnrunde haben die Gewerkschaften zugunsten der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Krise auf Lohnsteigerungen verzichtet. Jetzt allerdings ist es "höchste Zeit, dass die Beschäftigten sich einen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg holen." kommentiert die gewerkschaftspolitische Sprecherin die Forderungen von IG Metall und ver.di. Eine höhere Binnennachfrage und damit ein Anstieg der Importe würde sich auch positiv für Europa auswirken.

 

Deutschland freut sich über den Aufschwung und sinkende Arbeitslosenzahlen. Die Krise in Europa wird immer dramatischer. Wie passt das zusammen?

Ulla Lötzer: Der Aufschwung ist Deutschland und die Zuspitzung der Krise in Europa sind zwei Seiten der selben Medaille. Der deutsche Aufschwung gründet sich auf einen krassen Exportüberschuss vor allem gegenüber den anderen europäischen Ländern. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass 20 der 27 EU-Länder ein Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland haben. Dafür müssen sie sich verschulden, sinkt ihre Bonität am Anleihemarkt und steigt die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit. Kein Wunder, dass man bei unseren europäischen Nachbarn seit Jahren vom „räuberischen Deutschland“ spricht.

 

Ist der Aufschwung tatsächlich ein Aufschwung?

Natürlich handelt es sich dabei um einen realen Aufschwung. Er ist aber unsozial, weil er einerseits auf Kosten der Menschen in den anderen Ländern geht und andererseits mit Reallohnsenkungen, prekärer Beschäftigung und Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland verbunden ist. Viele Beschäftigte auch hier haben keinen Anteil daran. Es ist ein Aufschwung der Leiharbeit, der befristeten Beschäftigung und Minijobs. Die OECD hat kürzlich festgestellt: In keiner anderen Industrienation trifft die Redensart: „die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher„ mehr zu als in Deutschland. 1,2 Mio. Menschen werden mit Stundenlöhnen unter 5 Euro abgespeist.

 

Der Aufschwung sei auch den Gewerkschaften zu verdanken, ist selbst von konservativer Seite zu hören. Sie hatten in der letzten Lohnrunde von sich aus darauf verzichtet, deutlich höhere Löhne und Gehälter zu fordern. War das richtig?

Es ist richtig, dass die Gewerkschaften in der Krise auf Lohnsteigerungen verzichtet haben. Im Vordergrund stand die Sicherung der Arbeitsplätze. Ich denke, es ist aber nicht Aufgabe von PolitikerInnen, den Gewerkschaften Zeugnisnoten für die Höhe der Abschlüsse zu erteilen. Das hat immer mit Kampffähigkeit zu tun und ist auch Ergebnis von Mitgliederentscheidungen. Durch die Laufzeiten der in der Krise abgeschlossenen Tarifverträge ist es allerdings jetzt höchste Zeit, dass die Beschäftigten sich einen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg holen.

 

Was erwarten Sie von den Gewerkschaften für die neue Lohnrunde?

Sowohl die IG Metall, wie auch ver.di haben jetzt mit 6,5 Prozent hohe Forderungen verabschiedet und darüber hinaus wichtige Forderungen zur Begrenzung von Leiharbeit und Übernahme von Auszubildenden. Die Auseinandersetzung darum wird sicherlich schwierig, da die Arbeitgeberverbände bereits deutlich gemacht haben, dass sie nicht gewillt sind, hohe Lohnabschlüsse zu akzeptieren. Wir werden die Gewerkschaften dabei nach aller Kraft unterstützen.


Was ist nötig, damit es zu einer gerechteren Verteilung kommt?

Höhere Lohnabschlüsse sind ein wichtiger Baustein. Ebenso wichtig ist ein Ende der Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, gleichen Lohn für gleiche Arbeit auch für Frauen und Männer, die Zurückdrängung von Befristung von Arbeitsplätzen und vieles mehr. Doch lohnpolitische Maßnahmen reichen nicht aus. Seit Beginn der Krise 2008 ist die Zahl der Millionäre in Deutschland immer weiter gestiegen. Während die Lebensumstände für viele Menschen immer schlechter werden, profitieren andere von ihrer Not. Um diesen Missstand abzuschaffen fordern wir die Einführung einer Millionärs- und die Wiedererhebung der Erbschaftssteuer.

 

Wie würde sich das in Europa auswirken?

Frank Bsirske hat in der Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass ihre Forderungen ein wichtiges europäisches Signal sind. Sie wollen deutlich machen, dass die Zeit des Lohndumpings in Deutschland vorbei ist. Wenn in Deutschland die Binnennachfrage steigt, kann dies auch zur einem Anstieg der Importe aus anderen europäischen Ländern führen. Allerdings hilft dies den Menschen in den anderen europäischen Ländern nur, wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, den brutalen Sozialabbau der letzten 12 Jahre über den Fiskalpakt flächendeckendend auf die anderen Mitgliedsstaaten auszudehnen und dort, wie in Griechenland, massiv Lohnsenkungen durchzusetzen.

 

 

www.linksfraktion.de, 13. Februar 2012