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Im Wortlaut von Lothar Bisky, Gregor Gysi,

Laute Gewissensappelle an die LINKE in der Bundestagsdebatte zu Afghanistan

64 Prozent der Bundesbürger lehnen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ab. 80 Prozent der Afghanen befürworteten ihn, hielt die Große Koalition am Freitag im Bundestag entgegen. 78 Prozent der Abgeordneten folgten diesem Argument und verlängerten das Mandat von ISAF und Tornado-Flugzeugen um ein Jahr.

»Was sind Sie denn für ein Jurist?«, schrie Gert Weißkirchen voller Empörung Gregor Gysi an. Der SPD-Abgeordnete hatte das Rednerpult bereits verlassen und stand nur zwei, drei Meter von Gysi entfernt. Das Mittel der Kurzintervention, die vom Platz aus vorgetragen wird, ließ die Kontrahenten bedrohlich zusammenrücken. Dass der Fraktionschef der LINKEN die völkerrechtliche Legitimität des Einsatzes in Abrede stellt, war für Weißkirchen außerhalb der eigenen Toleranzgrenze.

Irgendwann hatte es Gysi nicht mehr auf dem Stuhl gehalten. Das Wort zu einer Kurzintervention nutzte er, um den Rednern der Großen Koalition und der FDP zu widersprechen, zuletzt Weißkirchen. Die LINKE lehne die Spirale der Gewalt ab, die durch den Militäreinsatz der NATO angetrieben werde. Der schüre Hass und treibe den Taliban neue Kämpfer zu.

»Sie sperren die Ohren zu, um die Klagen der Menschen in Afghanistan nicht zu hören«, hatte Weisskirchen den Gegnern des ISAF-Einsatzes in seiner Rede vorgehalten. Namentlich forderte Weisskirchen allerdings nicht Gysi, sondern Hans Christian Ströbele von den Grünen mehrfach auf, sein angekündigtes Nein zu überdenken. Was wiederum Ströbele die Möglichkeit zu einer Erklärung am Ende der Aussprache bot. Weißkirchen habe seine Rede von vor drei Jahren gehalten. Dabei habe sich die Lage dramatisch verändert, in den ersten neun Monaten des Jahres seien bereits mehr Menschen ums Leben gekommen als im gesamten Jahr zuvor. Er lehne die Mandatsverlängerung ab.

Manche Grünen mögen seine Worte mit zwiespältigem Gefühl vernommen haben. 15 von ihnen stimmten am Ende dem Doppelmandat ISAF/Tornados zu, nur sieben lehnten seine Verlängerung ab. 28 Grüne enthielten sich der Stimme und folgten damit dem Minimalwillen des letzten Parteitages, der verlangt hatte, dem Mandat nicht zuzustimmen. Der Beschluss sorgt noch immer für Nachwehen in der Partei, wo Vertreter der Basis in Briefwechseln inzwischen Vorwürfe des Stalinismus abzuwerfen versuchen. Die Empörung über die Abgeordneten, die trotz Parteitagsvotum Zustimmung angekündigt hatten, hält sich jedoch in Grenzen, die Sieger des Parteitages ziehen es vor, ihren Erfolg in den Vordergrund zu stellen.

Doch auch in den Reihen der Koalition fanden sich nach der Abstimmung am Freitag ablehnende Stimmen wie die von Peter Gauweiler (CSU) und Lale Akgün, Klaus Barthel oder Marco Bülow (SPD) - insgesamt drei der Union und 13 der SPD. Drei Liberale lehnten gegen die Mehrheit ihrer Fraktion ab und vier enthielten sich; in seiner Rede hatte Fraktionschef Guido Westerwelle zuvor die Grünen auf ihre »Pflicht« aufmerksam gemacht, ihrem Gewissen und nicht dem Parteitagswillen zu folgen. Die FDP, so rühmte er, sei die einzige Oppositionsfraktion, die ihrer Verantwortung gerecht werde. Mit dem Tag des Abzugs würde Kabul wieder zur »Hauptstadt des Terrorismus in der Welt«.

Für die LINKE hatte Vorsitzender Lothar Bisky die gegenteilige Position vertreten. Der Militäreinsatz habe den Terrorismus nicht geschwächt, militärisch könne der nicht besiegt werden. Der gute Zweck heilige auch in Afghanistan keine militärischen Mittel, sondern diskreditiere ihn. Selbst die freundliche Geste half nicht gegen den Verdacht des Vaterlandsverrats: »Sie müssen sich mal überlegen, auf welcher Seite Sie stehen«, rief Eckart von Klaeden (CDU) empört. Mit der afghanischen Abgeordneten Malalai Joya die falsche Kronzeugin gegen den Einsatz zitiert zu haben, hielt Renate Künast (Grüne) Bisky vor. Sie berief sich auf Joyas politische Gegner, die sie des Kabuler Parlaments verwiesen und die Künast lieber zitiert. Für einen Moment schienen die Konflikte in Afghanistan zum Greifen nahe.

Von Uwe Kalbe

Neues Deutschland, 13. Oktober 2007