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Asylrecht im Ausverkauf

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,


Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Die Bundesregierung hat das Asylrecht faktisch zum Abschuss freigegeben – zugunsten einer Politik der Ausgrenzung und Abschreckung. Bundesinnenminister de Maizière (CDU) hat bei der Befragung der Bundesregierung am 30. September 2015 tief in die Asyl-Agenda der Regierungskoalition blicken lassen und einen Ausblick darauf gegeben, was uns zukünftig noch erwartet. Und das treibt uns einen kalten Schauer über den Rücken.

Die massiven Leistungskürzungen, die zukünftig vor allem Ausreisepflichtige treffen sollen, sind offen verfassungswidrig. Doch anscheinend will die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht auf die Probe stellen. Dieses hat in seinem Grundsatzurteil vom 18. Juli 2012 klargestellt, dass die Menschenwürde nicht verhandelbar ist – auch nicht zu migrationspolitischen Zwecken. Eine Konkretisierung der Menschenwürde ist das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das sowohl die physische Existenz als auch die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst. Es gilt für alle Menschen gleichermaßen – unabhängig von Aufenthaltsstatus, Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive.

De Maizière will Menschenwürde einschränken

Doch laut de Maizière soll das Existenzminimum nur für ein „legales“ Leben in Deutschland gelten, es könne ja schließlich nicht sein, dass Ausreisepflichtige dieselben finanziellen Leistungen erhielten wie Personen, die „legal“ in Deutschland leben. Unterschiedliche Sachverhalte und Dimensionen würden unterschiedliche verfassungsrechtliche Beurteilungen erforderlich machen. Der Kontext der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 entspräche daher nicht mehr der heutigen Realität. Im Klartext: Die Menschenwürde soll nach Auffassung des Bundesinnenministers doch nicht uneingeschränkt gelten, sondern einer Migrationspolitik geopfert werden können, die Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus quasi ihr Existenzrecht abspricht.

Der Gedanke der Instrumentalisierung von Versorgungsleistungen spricht ganz klar aus dem aktuellen Gesetzentwurf zum Asylrecht und wurde auch von de Maizière in der Befragung auch so wiedergegeben. Nur die fatalen Folgen einer solchen Separations- und Aushungerungspolitik hat er verschwiegen. Auf die Nachfrage hin, wie sichergestellt werden solle, dass schutzbedürftige, strukturell diskriminierte Menschen aus dem Westbalkan, wie beispielsweise Roma oder Homosexuelle, trotz der Vorverurteilung „Sicherer Herkunftsstaat“ zu ihrem Recht auf Asyl kommen, verwies der Minister auf die Einzelfallprüfung der Asylfälle. Diese findet jedoch bei Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten im verkürzten Verfahren weder unvoreingenommen noch gewissenhaft statt. Denn – wie der Minister betonte – die „gute Bleibeperspektive“ wird entgegen jeglicher asylrechtlicher Grundsätzen erst einmal an der jeweiligen Nationalität und Aufnahmequote fest gemacht.

Monatelange Kasernierung

Ganz treffend ist bei der Befragung herausgekommen: Entgegen seinem Namen beschleunigt das geplante Gesetz nichts, außer die Abschiebung unliebsamer Flüchtlinge. Wie genau die monatelange Kasernierung Asylsuchender in Erstaufnahmelagern deren Asylverfahren beschleunigen soll, bleibt unklar. Genauso unklar bleibt, warum nicht zumindest bei Flüchtlingen mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“ eine dezentrale Unterbringung bei Verwandten zugelassen wird. Zwischen den Zeilen kann man jedoch erahnen, worum es der Bundesregierung wirklich geht: Kontrolle und die Gewährleistung schneller Abschiebungen.

Bürokratische und tatsächliche Hürden sollen wohl nur in Bezug auf die Abschiebung fallen, nicht aber die Aufnahme von Flüchtlingen erleichtern. So soll die unbürokratische Ausstellung von Passersatzdokumenten zwecks beschleunigter Ausreise aus Deutschland denkbar sein, während sie in Verfahren des Familiennachzuges oftmals aus nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert wird.

Prüfung von Asylanträgen an Landesgrenzen

Als nächste Verschärfung stellte de Maizière nun die vorverlagerte Prüfung von Asylanträgen an den Landesgrenzen in Aussicht. Dies sei nach geltendem Recht noch nicht möglich, doch wir wissen ja, wenn es um die Verschärfung des Asylrechts geht: Was nicht passt, wird passend gemacht.

In der Regierungsbefragung war viel die Rede von den politischen und rechtlichen Verpflichtungen von Bund und Ländern, nur die wichtigste Verpflichtung blieb so gut wie außen vor: Die humanitäre, nicht verhandel- oder kontingentierbare Verpflichtung zum Schutz und zur Aufnahme von Flüchtlingen.


linksfraktion.de, 1. Oktober 2015