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Armutsfester Sozialstaat ist das Ziel der Linken

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Außenpolitik muss sich in Willy Brandts Sinne auf das Völkerrecht stützen

Erfurt. (tlz) Konsequent für eine neue soziale Idee: Das ist das Motto, unter dem Thüringer Linke gemeinsam mit ihrer Bundestagsfraktion am heutigen 4. Juli eine Betriebs- und Personalräte sowie Vertrauensleute zu einer Gewerkschaftskonferenz in Erfurt einlädt. Mit dabei: Oskar Lafontaine, der für einen Systemwechsel wirbt.

Herr Lafontaine, alle reden darüber, dass Sie den Systemwechsel wollen. Was meinen Sie damit?

Ich erläutere das mal beispielhaft an der Umweltpolitik: Wir haben hier ein Wirtschaftssystem, das an Umsatz- und Gewinnsteigerung orientiert ist. In den vergangenen Jahren sind zudem immer mehr Regeln abgeschafft worden. Deregulierung hieß die Formel. Es ist aber notwendig etwa den Energiemonopolen ihre Grenzen aufzuzeigen. Das Auslaufen der Preiskontrolle führt derzeit zu enormen Preissteigerungen. Die Linke fordert also, die Netze zu verstaatlichen und die Energiepreise wie bisher staatlich zu kontrollieren. Das ist ein klassisches Beispiel.

Worauf zielen Sie noch, wenn Sie von Systemwechsel sprechen?

Wenn wir das global sehen, dann geht es um die Kriege im Vorderen Orient. Diese Kriege sind Kriege um Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Ein System, das so expansiv ist, dass auch Kriege um Rohstoffquellen die Folge sind, muss geändert werden.

Das, was Sie unter Systemwechsel verstehen: Bewegt sich das noch auf dem Boden des Grundgesetzes oder liegen Sie mit Ihren Ideen bereits daneben?

Die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland widerspricht dem Grundgesetz. Dort steht: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch dient dem Allgemeinwohl. Wenn wir beispielsweise die Vorgehen bei der Telekom nehmen, dann hat der Bund als Hauptgesellschafter gegen das Gemeinwohl verstoßen, indem er zuließ, dass Arbeitnehmer erhebliche Einkommensverluste hinnehmen müssen, obwohl die Telekom im letzten Jahr noch Milliardengewinne ausgewiesen hat.

Verstehe ich Sie richtig: Sie wollen einen stärkeren Staat?

Ja. Wir wollen einen stärkeren Staat. Die Forderungen der Neoliberalen, Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung haben zu einer drastischen Verschlechterung bei den Lebensbedingungen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geführt. Und das nicht nur bei der Post, bei der Telekom, sondern quer durch die gesamte Volkswirtschaft. Wir haben in Deutschland eine Sonderentwicklung: Die Reallöhne sind in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren in der Summe nicht gestiegen sondern gesunken. Das gibt es in keinem anderen westlichen Land.

Bei den Löhnen plädieren Sie wofür?

Wir brauchen gesetzliche Mindestlöhne. Die Linke sind die einzige Gruppe im Parlament, die konsequent für einen Mindestlohn von acht Euro pro Stunde wirbt ...

... das heißt, Sie liegen deutlich über den 7.50 Euro, für die der Gewerkschaftsbund demonstriert. Das ist aber merkwürdig, oder?

Die Gewerkschaften müssen ihre Forderungen korrigieren.

Sind acht Euro nicht zu viel?

Nein. Frankreichs neuer Präsident Sarkozy hat jetzt für sein Land einen Mindestlohn von 8.44 Euro ins Auge gefasst. Insofern hinken die deutschen Gewerkschaften der Entwicklung hinterher. Wir wollen aber nicht nur Mindestlöhne. Wir müssen als Gewerkschafter aber auch darüber diskutieren, wie es gelingen kann, die zentrale Aufgabe dieser Organisation zu erfüllen: Es geht darum, die Arbeitnehmer über Lohnsteigerungen an Wachstum und Wohlstand zu beteiligen.

CDU und SPD haben gerade Vorschläge gemacht, wie Arbeitnehmer an Unternehmen beteiligt werden könnten. Wie könnte denn diese Beteiligung aus Ihrer Sicht aussehen?

Aus unserer Sicht ist die erste Aufgabe in Deutschland Reallohnsteigerungen durchzusetzen. Verglichen mit den vergangenen zehn Jahren liegen wir gegenüber Schweden oder Großbritannien um 30 bis 25 Prozent zurück. Das heißt: Dort sind die Löhne viel stärker gestiegen. Die Diskussion um Gewinnbeteiligung, die zur Zeit von den beiden Volksparteien zum wiederholten Male angestoßen wurde, ist unzeitgemäß. So lange wir Lohndumping in Deutschland haben, geht es zuerst darum, die Arbeitnehmer über steigende Löhne an den Gewinnen zu beteiligen. Die beiden Vorschläge führen derzeit nur dazu, dass Unternehmer in Versuchung geführt werden, Lohnsteigerungen ganz aufzugeben, um dafür irgendwelche Beteiligungen auf dem Papier einzuräumen.

Könnte aber doch sein, dass der derzeitige Aufwärtstrend auf dem Arbeitsmarkt und das Anziehen der gesamten Konjunktur genau damit zusammenhängt, dass die Arbeitnehmer in Deutschland sich so lange auf so vieles verzichtet haben, oder?

Einen solchen Zusammenhang könnte man nur herstellen, wenn es in den USA, Schweden, Großbritannien und in anderen Ländern keine gute konjunkturelle Entwicklung gäbe. Das aber ist nicht der Fall.

Ist absehbar, dass es den Arbeitnehmern bald besser gehen wird?

So einfach ist das nicht. Wir haben immer mehr Leiharbeiter, von denen viele 20 bis 40 Prozent schlechter bezahlt werden als die Stammbelegschaft. Die Linke wird alles tun, dass diese von den anderen Parteien befürwortete Entwicklung der Leiharbeit und die damit verbundenen sinkenden Löhne gestoppt werden.

Diese Leiharbeit findet häufig auch dadurch statt, dass innerbetriebliche Ausgründungen stattfinden, um so die eigene Belegschaft geringer bezahlen zu können. Was halten Sie davon?

So eine Vorgehensweise wäre nur gerechtfertigt, wenn man das Management aller Firmen ausgründet und es 40 Prozent schlechter bezahlt.

Das ist aber ein populistischer Vorschlag, oder?

Das zeigt nur, wie schäbig die Vorgehensweise derer ist, die solches mit den Arbeitnehmern machen, weil sie sich gleichzeitig selbst bereichern.

Sie sagen, die Rentenbeiträge müssten höher werden, um die Rente zu stärken. Warum?

Die Rentenbeiträge werden ja höher, aber nur für die Arbeitnehmer. Die Rentenreformen der vergangenen Jahre waren völlig verfehlt, weil sie den Arbeitnehmern die Vorsorge fürs Alter allein aufgebürdet haben. Wir wollen die Unternehmen wieder beteiligen, wollen also die paritätische Finanzierung wieder herstellen. Die gesetzliche Rente ist immer noch die sicherste Form der Anlage. In Deutschland haben wir aber einen Skandal: Nach Berechnung der OECD sind die Rentenerwartungen für die Deutschen, die niedrige Einkommen haben die schlechtesten aller Industriestaaten. Das heißt: Die Reformchaoten haben durch ihre so genannten Reformen wieder etwas eingeführt, was wir im vergangenen Jahrhundert überwunden hatte, die Altersarmut.

Herr Lafontaine, sind Sie mit der Linken jetzt eigentlich da angekommen, wo Sie früher mit der SPD hinwollten?

Die Linke vertritt klare Positionen. Sie möchte eine armutsfeste Rente, sie möchte einen gesetzlichen Mindestlohn, sie möchte, dass Arbeitnehmer und Rentner am wachsenden Wohlstand durch steigende Löhne und Renten beteiligt werden. Die Linke möchte eine Gesundheitspolitik, die diesen Namen verdient. Und sie möchte zurück zur Friedenspolitik Willy Brandts, die das Völkerrecht zur Grundlage der Außenpolitik hatte. Für diese Ziele werben wir. Die SPD hat sich leider von diesen Grundsätzen entfernt.

Und was heißt es für Sie: Haben Sie sich in den vergangenen acht Jahren sehr verändert oder doch eher die SPD?

Das heißt, dass ich für eine Politik eintrete, die als zentrale Werte soziale Gerechtigkeit und Frieden hat.

Wenn Sie auf die Linken schauen: Braucht die eben erst fusionierte Partei noch eine Entwicklungszeit in der Opposition oder ist sie bereits in Kürze auch auf Bundesebene regierungsfähig?

Wir richten uns nach den Ergebnissen der Politik. Wenn wir Partner finden für einen gesetzlichen Mindestlohn, für eine armutsfeste Rente, für längere Arbeitslosengeld und für den Rückzug der Truppen aus Afghanistan, dann werden wir mit diesem Partner zusammenarbeiten, um auch als Regierung diese Ziele durchzusetzen. So lange wir keine Partner für solche Ziele finden, können wir uns nicht an Regierungen beteiligen.

Teilen oder streiten sich derzeit um den politischen Raum links von der Mitte eigentlich SPD, Linke und Grüne?

Wenn es um die Wiederherstellung eines armutsfesten Sozialstaates und die Entwicklung einer Außenpolitik auf der Grundlage des Völkerrechts geht, dann ist die Linke die einzige Kraft im Bundestag, die diese Ziele verfolgt.

Und was wird sich Ihrer Meinung nach auf der extrem rechten Seite entwickeln?

Die Linke hat auch deshalb so viel Zulauf, weil viele Menschen in den bisher im Bundestag etablierten Parteien keine Ansprechpartner mehr sehen. Gäbe es die Linke nicht, dann gäbe es sicherlich mehr Proteststimmen für die Rechtsextremen.

Von Gerlinde Sommer

Thüringische Landeszeitung, 4. Juli 2007