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Arbeitszeitverkürzung: »Höchste Zeit, die Arbeitswelt vom Kopf auf die Füße zu stellen«

Im Wortlaut von Bernd Riexinger,

Von Bernd Riexinger, Mitglied der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Vorsitzender der Partei DIE LINKE


Besinnlich sei die Weihnachtszeit, propagiert die Werbung. Tatsächlich ist keine andere Zeit des Jahres so stressig wie die Wochen vor dem Jahreswechsel. Müssen viele Menschen schon das ganze Jahr zu viel und zu intensiv arbeiten, kommt jetzt noch der Weihnachtsstress hinzu. Wir hetzen nach einem langen Arbeitstag ins Einkaufszentrum, zum Frisör, in den Baumarkt. Wir hasten von der Kita der Kinder ins Büro und danach zur Betriebsweihnachtsfeier. Unterm Tannenbaum fühlen sich viele einfach nur erschöpft statt besinnlich.

Etwas läuft falsch in Deutschland

Wenn es um die Verteilung von Arbeit und Einkommen in Deutschland geht, läuft etwas falsch in Deutschland. Unbezahlte Überstunden, Dauerstress und Überforderung prägen den Berufsalltag der meisten Beschäftigten, während Millionen Menschen unfreiwillig keine oder zu wenig Erwerbsarbeit haben.

Seit Jahren existiert in Deutschland ein Trend zur Teilzeit. Einerseits arbeiten Frauen und Männer gezwungenermaßen in Teilzeit, weil sie keine Vollzeitstelle finden oder weil sie ansonsten Familie und Beruf nicht unter einen Hut bekämen. Viele von ihnen müssen zusätzlich Hartz IV beantragen, weil in Mini- und Midijobs der Lohn nicht zum Leben reicht. Andererseits entscheiden sich viele Beschäftigte, die es sich leisten können, bereitwillig für etwas weniger Arbeitszeit.

Viele Beschäftigte in Vollzeit wünschen sich weniger Wochenstunden, beispielsweise weil sie sich um ihre kleinen Kinder oder um die pflegebedürftigen Eltern kümmern möchten. Auf der anderen Seite sehnen sich viele Menschen nach längeren Arbeitszeiten und einem einen auskömmlichen Einkommen oder möchten wieder mehr arbeiten, nachdem die eigenen Kinder ausgezogen sind. Die Tarifrunde der IG Metall dieses Jahr hat gezeigt, dass es anders geht. Vor die Wahl gestellt, ob sie lieber mehr Geld oder mehr Freizeit möchten, entschieden sich viele Menschen für die freie Zeit. Das ist beispielhaft und trifft sich insgesamt mit den Arbeitszeitwünschen der Beschäftigten.

Arbeit und Zeit müssen gerechter verteilt werden

Die Arbeitszeit sollte sich nach dem Leben richten, damit das ganze Leben nicht nur um die Arbeit kreist. Beschäftigte müssen eine Arbeitszeit finden können, die zu ihrer Lebenssituation passt. Deshalb brauchen wir eine neue Normalarbeitszeit. Ich werbe für eine Initiative zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Arbeit und Zeit müssen gerechter verteilt werden mit einer kurzen Vollzeit für alle. Mit Arbeitszeiten zwischen 28 und 35 Stunden pro Woche, gestaltbar nach Lebensphasen und Zeitwünschen. Mit Löhnen, die für ein gutes Leben reichen.

Als erste Schritte in diese Richtung schlage ich eine kürzere Wochenhöchstarbeitszeit von maximal 40 Stunden sowie verbindliche Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten als auch ihrer Betriebsräte bei Arbeitsorganisation und Personalplanung vor. Auch muss die Planbarkeit des Berufslebens verbessert werden, indem sachgrundlos befristete Jobs und Nullstunden-Verträge abgeschafft werden.

Auch der Achtstundentag fiel nicht vom Himmel

Für diese Vorhaben sind viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter und ein langer Atem nötig. Das lehrt die Auseinandersetzung um die gesetzliche Einführung des Achtstundentags. Erst vor 100 Jahren, als Ergebnis der Novemberrevolution, wurde in Deutschland die Arbeitszeit auf acht Stunden pro Werktag begrenzt. Für diese Forderung hatten zuvor mehrere Generationen von Arbeiterinnen und Arbeiter kämpfen und streiken müssen.

Die Fraktion DIE LINKE wird im neuen Jahr Initiativen starten, um die Vorschläge zur Arbeitszeitverkürzung und für eine gerechte Verteilung der Arbeit bekannt zu machen – im Parlament, in den Betrieben, auf der Straße. Es ist höchste Zeit, die Arbeitswelt vom Kopf auf die Füße zu stellen – auch damit die nächste Weihnachtszeit für die Beschäftigten entspannter, stressfrei und vielleicht sogar besinnlich wird.