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Anhörung zur EU-Dienstleistungsrichtlinie

Nachricht von Ulla Lötzer,

Die Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie am Montag, dem 16. Oktober, war die letzte Gelegenheit, gegenüber dem Europäischen Parlament deutlich zu machen, dass die deutschen Gewerkschaften noch wesentlichen Änderungsbedarf am Richtlinientext sehen.

Gegenwärtig kann man aufgrund der öffentlichen Meinungshoheit weder damit rechnen, dass in der zweiten Lesung am 15. November noch substantielle Änderungen durchgesetzt werden und auch nicht, dass ein Vermittlungsverfahren zwischen Europäischem Rat und Parlament erreicht wird. Bundesregierung und Rat erhöhen gegenwärtig den Druck auf die EU-Abgeordneten, die Richtlinie in Form des Gemeinsamen Standpunktes durchzusetzen und damit wesentliche Verbesserungen aus der ersten Lesung wieder rückgängig zu machen. Deshalb richteten sich viele Beiträge schon auf die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht.

CDU/CSU und SPD beziehen sich in der Verteidigung ihres Kompromisses vor allem auf die Ausnahme von Beschäftigungsbedingungen, Tarifverträgen und der Entsendeleitlinie vom Geltungsbereich der Richtlinie (vgl. die Antwort auf unsere Große Anfrage und die Presseerklärung von Ulla Lötzer am 30.05.2006).
Für die Bundestagsfraktion DIE LINKE. haben wir es gegen Widerstand der CDU/CSU und auch der SPD-Fraktion erreicht, dass bei einer Sachverständigenanhörung des Wirtschaftsausschusses am Montag dem 16. Oktober noch einmal Gewerkschaften und Verbände die Möglichkeiten bekommen, kritisch zum aktuell vorliegenden Richtlinienvorschlag Stellung zu nehmen. Ver.di, die IG BAU und der DGB aber auch der Deutsche Landkreistag und der ZDH nutzten diese Gelegenheit zu umfangreichen und lesenswerten Stellungnahmen.

Sowohl Margret Mönig-Raane (ver.di), Annelie Buntenbach (DGB) als auch Frank Schmidt-Hullmann (IG BAU) kritisierten auf der Anhörung die Richtlinie mit deutlichen Worten. Dass die Richtlinie tatsächlich zu mehr Arbeitsplätzen führen werde, sei nicht sicher. Annelie Buntenbach befürchtete einen Verlust sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse und damit die "Beschleunigung einer Tendenz, mit der wir ohnehin zu kämpfen haben". Insbesondere bei den Regelungen zum Herkunftslandsprinzip gebe es eine "Reihe von Unklarheiten, die zu Rechtsunsicherheiten führen". Darauf wies auch Schmidt-Hullmann hin: Mit dem Inkrafttreten seien große Teile der Handwerksordnung nicht mehr umzusetzen und "große Teile des nationalen Rechts nicht mehr anwendbar". Daher seien "Rechtschaos" und ein "Stillstand der Rechtspflege" zu befürchten.

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane als Sachverständige der LINKEN. forderte auf der Anhörung unter anderem eine komplette Ausnahme des Arbeitsrechts aus der Richtlinie und den Vorrang sozialer Grundrechte. Der Schutz der Arbeitnehmer bei der Entsendung müsse lückenlos geregelt werden. Neben der Einrichtung eines Informationssystems über die Rechte der Arbeitnehmer und Selbstständigen im jeweiligen Zielland durch die EU forderte die ver.di-Vize die komplette Herausnahme aller Dienstleistungen von allgemeinem und allgemein wirtschaftlichem Interesse, aller Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen, der sozialen Dienste sowie der Leiharbeit.

Sie habe EU-Kommission und Europarat im Verdacht, die Dienstleistungsfreiheit im Sinne einer immer schrankenloseren Freiheit für Unternehmen auszulegen, während die Situation der Beschäftigten nachrangig behandelt würde. „Dienstleistung ist in der Europäischen Union und in der deutschen Politik seit Jahrzehnten ein Stiefkind“, betonte Mönig-Raane. Die Gewerkschafterin warnte vor einem verschärften Lohn- und Sozialdumping und einem Absinken der Qualität von Dienstleistungen, wenn keine Maßnahmen wie gesetzliche Mindestlöhne oder Sozial- und Qualitätsstandards eine europäische Richtlinie begleiteten. „Nach unseren Erfahrungen haben mehr Wettbewerb, Deregulierung und Privatisierung im Schnitt zwar zu sinkenden Kosten und höheren Gewinnen geführt - z.T. zu höherer Konzentration, zur Verfestigung von privaten Monopolen und Oligopolen - aber auch zum deutlichen Abbau von Arbeitsplätzen, Absinken von Reallöhnen und zur Vermehrung von prekären Arbeitsplätzen.“ Die Rechtssicherheit und die Gleichheit vor dem Gesetz seien darüber hinaus akut gefährdet. Nach dem vorliegenden Entwurf würden in weiten Bereichen der Wirtschaft und des täglichen Lebens in jedem Land der EU künftig 27 verschiedene Rechtssysteme in 22 Sprachen nebeneinander gelten. „Statt gemeinsames europäisches Recht zu schaffen, würde das eine beispiellose Verwirrung stiften“, so Mönig-Raane.

Bisher sei weder von der EU-Kommission noch von der Bundesregierung schlüssig dargelegt worden, welche Auswirkungen aus der Richtlinie auf die Beschäftigung entstünden. Nötig seien umfassende Informationen für alle Beteiligten. Von Bundesregierung und Bundestag fordere sie daher einen Bericht über die Auswirkungen in den einzelnen Dienstleistungsbereichen und Regionen und einen offenen und ständigen Dialog unter Beteiligung der Sozialpartner zur nationalen Umsetzung der Richtlinie.

Damit sind aus unserer Sicht klare Anforderungen an die zweite Lesung im Europäischen Parlament benannt. Unabhängig davon was in der zweiten Lesung geändert wird, wird es für die DIE LINKE. in den nächsten Jahren darum gehen, gemeinsam mit Gewerkschaften die Umsetzung in nationales Recht kritisch zu begeleiten und unsere Alternativen für ein soziales Europa im Interesse der Beschäftigten deutlich machen:

  • einen gesetzlichen Mindestlohn und die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen
  • nationale Klarstellungen
  • den Schutz der Daseinsvorsorge vor jeder weiteren Privatisierung
  • und die Durchsetzung von gewerkschaftlichen Rechten im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr
  • und eine Verbesserung der Kontroll- und der strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten (europäisches Verwaltungsvollstreckungsabkommen)

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