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Angriffe auf ein Grundrecht

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

Gastkolumne von Klaus Ernst

»Massive Produktionsausfälle«, »illegale Aktionen«, »Millionenschaden«, »Chaos«: Die Schlagzeilen und Stichworte der letzten Tage erwecken den Eindruck, unser Land werde von einer Jahrhundertkatastrophe heimgesucht. Die Hetze von Unternehmerverbänden, Politikern und einigen Medien richtet sich jedoch nur vordergründig gegen eine kleine Gewerkschaft, die mit wenig Mitgliedern angeblich Wirtschaft und Bürger »in Geiselhaft« nimmt. Gemeint ist das Streikrecht überhaupt.

Die Einschränkung von Streikrecht, Mitbestimmung und Kündigungsschutz sind erklärte Ziele von Arbeitgebern und ihren politischen Vertretern. Damit soll Widerstand aus den Betrieben gegen den neoliberalen Umbau der Gesellschaft verhindert werden. Dass sich Arbeitsgerichte finden, die das Streikrecht weiter einschränken, wundert da wenig. Es ist kein Einzelfall. Und zur Geiselnahme: Warum werden nicht die Bahnvorstände als Geiselnehmer gebrandmarkt, die sich von 2005 zu 2006 über 60 Prozent Gehaltserhöhung genehmigten und jetzt einen Streik provozieren anstatt den Beschäftigten vernünftige Löhne zu zahlen?

Die vermehrten Streiks in deutschen Unternehmen kommen nicht von ungefähr. In den letzten Jahren wurden in der Arbeitswelt härtere Bandagen angelegt. Massenentlassungen und Arbeitszeitverlängerungen, Lohnkürzungen und der Abbau von erkämpften Schutzstandards bringen viele Beschäftigte dazu, das letzte ihnen zur Verfügung stehende Mittel zur Wahrung ihrer Interessen zu nutzen: den Streik.

Streik ist ein Grundrecht. Arbeitnehmer müssen zur Wahrung und Vertretung ihrer Interessen in der Arbeitswelt die Arbeit verweigern können. Und es zeugt für ein soziales Wirtschaftssystem, dass es oftmals gar nicht dazu kommen muss. Wenn jedoch die Deutsche Bahn zur Vorbereitung auf den Börsengang in den letzten 17 Jahren die Hälfte des Personals abbaut, Arbeitszeiten verlängert und Lohndrückerei betreibt, wird deutlich, wie notwendig es für die abhängig Beschäftigten ist, auch streiken zu können. Wie sonst sollen sie sich wirksam wehren?

Unterm Strich bekommen Lokführer in Westeuropa bis zum Doppelten des Nettolohns ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen. Dies ist unhaltbar. Die niedrigen Einkommen betreffen aber nicht nur Lokführer. Während der Konzern für 2007 Gewinne von rund 1,4 Milliarden Euro erwartet, mussten die Beschäftigten in den letzten zehn Jahren Reallohnverluste von ca. zehn Prozent hinnehmen. Diese gemeinsame Situation sollte eine gemeinsame Strategie zur Folge haben. Mit einem weiteren Auseinanderdriften der Belegschaften in unterschiedliche Tarifbereiche droht allen beteiligten Gewerkschaften die Schwächung ihrer Kampfkraft. Langfristig kann das Ziel nur ein einheitlicher Tarifvertrag mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen für alle sein.

Der Druck auf die Löhne wurde mit der geplanten Privatisierung durch Politik und DB-Vorstand ausgelöst. Der Ausverkauf öffentlichen Eigentums auf dem Rücken der Beschäftigten muss deshalb beendet werden: Keine Privatisierung der Bahn und höhere Löhne für ihre Beschäftigten.

Neues Deutschland, 11. August 2007