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Anfangsverdacht für ein Kriegsverbrechen

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

Linkspolitiker Wolfgang Neskovic zum israelischen Piratenakt und zu juristischen Konsequenzen

Mindestens zehn Todesopfer hat der israelische Militäreinsatz gegen den internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für Gaza gefordert. Über die Rechtmäßigkeit des Angriffs in internationalen Gewässern sprach mit Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN, für ND Roland Etzel.

Israel hat den internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern etwa 70 Seemeilen vor der Küste Gazas angegriffen. Kann es für diese Militäraktion irgendeine Art juristischer Rechtfertigung geben?

Nein. Den vorliegenden Presseberichten nach fand der Angriff auf Hoher See statt. Laut dem Seerechtsübereinkommen dürfen in internationalen Gewässern Schiffe nur in Ausnahmefällen - zum Beispiel beim Verdacht auf Seeräuberei - angehalten und betreten werden.

Ein israelischer Militärsprecher sprach davon, dass es sich bei den Gewässern, in denen sich der Hilfskonvoi befand, um eine Kriegszone gehandelt habe, in die die Schiffe nicht hätten eindringen dürfen. Könnte man diese Aktion gegen Zivilschiffe auf diese Weise rechtfertigen?

Den Begriff der Kriegszone gibt es im Völkerrecht nicht. Deswegen kann sich daraus auch keine völkerrechtliche Rechtfertigung ergeben - erst recht nicht für einen Angriff auf Schiffe, die erkennbar humanitären Zwecken dienen.

Ist nicht überhaupt die Abriegelung des Gaza-Streifens bereits ein Verstoß gegen das Völkerrecht?

Ja, allein die Besetzung des Gaza-Streifens stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht dar. Insbesondere die Abriegelung des Gaza-Streifens verletzt humanitäres Völkerrecht. Kollektivstrafen sind nach Artikel 33 des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten verboten. Auch Amnesty International hat in einem Gutachten diesen Verstoß gerügt.

Wie sollten die betroffenen Staaten jetzt reagieren? Darunter befindet sich ja auch Deutschland. Es liegt offensichtlich eine kriegerische Handlung vor, auch gegen deutsche Staatsbürger, die sich auf den Schiffen befanden. Ist die Bundesanwaltschaft gefordert?

Nach dem Völkerstrafgesetzbuch sind vorsätzliche Angriffe auf Zivilpersonen, die sich nicht unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligen, strafbar. Das Völkerstrafgesetzbuch gilt auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Für die Verfolgung solcher Straftaten ist die Generalbundesanwaltschaft zuständig.

Laut den vorliegenden Presseberichten besteht zumindest der Anfangsverdacht für ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch, so dass die Generalbundesanwaltschaft gehalten ist, Ermittlungen aufzunehmen.

Es hieß, vom Auswärtigen Amt habe es eine Warnung an die deutschen Abgeordneten gegeben, die Reise zu unterlassen. Hätten die Betroffenen diese Warnung befolgen müssen?

Es war allein Entscheidung der Abgeordneten, ob sie diese Warnung befolgen. Rechtlich bestand für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit, die Abgeordneten an ihrer Entscheidung zu hindern, den Schiffskonvoi zu begleiten. Allerdings ist vom Auswärtigen Amt zu erwarten, dass es die Israelis von der Anwesenheit der deutschen Staatsbürger an Bord der Schiffe informiert, um sie auf diese Art und Weise zu schützen.

Neues Deutschland, 1. Juni 2010