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»Andrea Nahles bedeutet keinen Linksschwenk«

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

Münteferings Verzicht ist kein Anlaß für offizielle Gespräche. SPD muß erst ihre Politik ändern. Ein Gespräch mit Klaus Ernst

Klaus Ernst ist Bundestagsabgeordneter der Linksfraktion und Bundesvorstandsmitglied der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG)

Nach Gerhard Schröder ist jetzt auch Franz Müntefering weg von der SPD-Spitze. Könnte das Basis für Gespräche mit der SPD sein?
Nur weil Müntefering seinen Rückzug erklärt, heißt das noch lange nicht, daß die SPD ihre Politik grundsätzlich ändert.

Schließen Sie sich der Bewertung vieler Medien an, die Nominierung von Andrea Nahles zur Generalsekretärin der SPD sei Indiz für einen Linksschwenk ihrer Partei?
Wenn Frau Nahles jetzt dem SPD-Parteitag als Kandidatin präsentiert wird, ist das noch längst kein Linksschwenk. Zuvor müßte sich die SPD erst einmal mit ihrer bisherigen Politik auseinandersetzen, sie müßte analysieren, was falsch gelaufen ist. Und sie müßte sich auf Basis dieser Analyse zu einer anderen Politik entschließen. Es kann sein, daß das so kommt. Oder auch nicht.

Seit Wochen bereiten SPD und CDU/CSU die größte Sozialrasur der bundesdeutschen Geschichte vor - wieso vernimmt man von der Linksfraktion kaum Protest?
Wir haben unseren Standpunkt dazu deutlich gemacht und veröffentlicht. Es liegt sicher nicht an uns, wenn die Öffentlichkeit uns nicht so wahrnimmt, wie wir das gerne wollen. Es ist auch verständlich, daß sich die Medien in erster Linie auf alles das stürzen, was in den Koalitionsverhandlungen geschieht.

Viele Einzelpersonen, Arbeitsloseninitiativen und auch der Bundesvorstand Ihrer WASG haben gegen den amtierenden Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) Anzeige erstattet, weil sein Ministerium Arbeitslose in die Nähe von »Parasiten« gerückt hatte. Von der Linksfraktion habe ich nichts dergleichen vernommen.
Wenn einer klagt, reicht das. Im übrigen machen wir nicht über Strafanzeigen Politik.

Hat nicht die Linke vor der Wahl angekündigt, sie wolle gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr klagen?
Die Fraktion hat sich noch nicht mit einer Klage beschäftigt.

Beobachter haben den Eindruck, daß die Linksfraktion nicht gerade dynamisch startet ...
Wenn Sie diesen Eindruck verbreiten wollen, dann müssen Sie es eben tun.

Wir wollen von uns aus gar nichts verbreiten. Wir artikulieren nur die Fragen, die uns viele Leserinnen und Leser per Brief, Mail oder Telefon stellen.
Sie sagen, die Linksfraktion komme nicht aus den Puschen. Das sehe ich ganz anders. Eine neue Fraktion hat zu Beginn ihrer Arbeit erst einmal eine Menge organisatorischer Dinge zu erledigen. Außerdem haben wir ja noch nicht einmal eine Regierung - und ohne die gibt es auch keine Opposition. Es ist schon merkwürdig, welche Vorstellungen darüber herumgeistern, wie wir was machen sollen. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

Die Linksfraktion hat ein 100-Tage-Programm. In der Öffentlichkeit ist es kaum bekannt und die Hälfte dieser Frist ist schon fast um - gerechnet vom Tage der Wahl. Oder zählen die 100 Tage erst vom Zeitpunkt der Regierungsbildung?
Das 100-Tage-Programm gilt von dem Zeitpunkt an, an dem die Tätigkeit des Parlaments beginnt. Sie können davon ausgehen, daß jetzt schon viele Aktivitäten laufen, um den einen oder anderen Punkt dieses Programms zu forcieren und in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir sind dabei, uns zu organisieren und mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zu reden. Diese Kleinarbeit macht natürlich nicht soviel Aufsehen wie eine flammende Rede im Parlament.

Im Fusionsprozeß von WASG und Linkspartei scheint es zu knirschen. In Berlin gibt es ebenso Probleme wie in Sachsen-Anhalt - in diesen Bundesländern werden beide Parteien bei den Landtagswahlen möglicherweise separat antreten. Bedroht das die Fusion?
Ich rede lieber von »Parteibildung« statt von Fusion - und diesen Prozeß sehe ich keineswegs gefährdet. Allerdings gibt es Probleme, z. B. in Sachsen-Anhalt. Auch in Berlin, wo die WASG aus der Kritik an der Politik des Senats entstanden ist. Dort muß inhaltlich geklärt werden, wie die Politik weitergehen soll, falls die Linkspartei wieder in den Senat kommt. Da geht es z. B. um Fragen, wie man es mit den Tarifen im öffentlichen Dienst hält. Am Montag haben z. B. die Beschäftigten der Charité gegen den Personalabbau demonstriert. Das alles muß geklärt werden.

Interview: Peter Wolter

junge Welt, 2. November 2005