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An der Südflanke

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,


 

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss

 

Die NATO soll künftig bei der Flüchtlingsabwehr in der Ägäis ganze Arbeit leisten. Noch wird diskutiert, ob nur mit Kriegsschiffen oder auch Luftwaffe. Fakt ist, dass ihre Präsenz an der südlichen Flanke weiter verstärkt wird. Die Initiative dafür darf sich die große Koalition in Berlin auf die Fahne schreiben. In Ankara hatte man die Presse beim Besuch der Kanzlerin informiert. An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ging nicht einmal eine E-Mail. Eine Abstimmung der Bundestagsabgeordneten ist wie beim NATO-AWACS-Einsatz an der türkisch-syrischen Grenze zur Verstärkung der türkischen Luftabwehr gegen Russland nicht vorgesehen. Der Bundestag, wenn auch im Gebäude des Reichstags zu Hause, kann über Truppenentsendungen anders als noch zu Kaisers Zeiten nicht mehr abstimmen.

Frank-Walter Steinmeier dementierte den Einsatz flugs: »Die NATO kann keine Rolle bei der Steuerung der Flüchtlingsmigration spielen«. Aber genau darum geht es. Das Bündnis soll die EU-Außengrenze gegen Flüchtlinge schützen. Unter dem Vorwand der Schlepperbekämpfung soll dieser Einsatz Merkels letzte Chance sein, ihr Konzept der Abschottung an der EU-Außengrenze durchzusetzen. Es ist vorhersehbar, dass die SPD erst protestieren und dann umfallen wird. Alles andere käme einem Wunder gleich.

Doch es geht nicht nur darum, den Flüchtlingen die NATO-Militärmaschinerie auf den Hals zu hetzen. Insgesamt soll die NATO-Präsenz an der Südflanke des Militärpakts verstärkt werden. Es geht um die Zurückdrängung Russlands. Und es ist in diesem Zusammenhang letztlich stimmig, allein die Opfer russischer Luftangriffe in Syrien anzuprangern und die der Koalition von NATO-Staaten geflissentlich zu verschweigen.

Mit dem hochgefährlichen AWACS-Einsatz ist man mit einem Bein bereits im Syrien-Krieg involviert. Denn was passiert, wenn die Luftabwehr des NATO-Partners auf die russische Luftwaffe in Syrien anlegt?

Berlin hat Ankara auch schon logistische Unterstützung für die Ausgestaltung einer türkischen Pufferzone im Norden Syriens, in der riesige Flüchtlingslager aufgebaut werden, zugesagt. Das kann von Ankara nur als grünes Licht dafür verstanden werden, die Grenze für syrische Flüchtlinge per Völkerrechtsbruch weiter zu schließen und auf syrischem Territorium eine türkische Sicherheitszone für ihre Verbündeten unter der Legitimation des Schutzes der Flüchtlingslager aufzubauen. Dabei geht es Ankara aber auch darum, während kurdische Selbstverteidigungsstreitkräfte auf die türkische Grenze vorrücken, einen Keil zwischen die kurdischen Kantone Efrin und Kobani zu treiben und so eine territoriale Vereinigung der kurdischen Autonomiegebiete im Norden Syriens zu hintertreiben. Die Lunte für eine Ausweitung des Krieges ist gelegt. Und die NATO ist dabei.

junge Welt, 11. Februar 2016