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Keime in einer Petrischale

Alles im Fluss? Tödliche Supererreger aus Pharmafabriken

Im Wortlaut von Kathrin Vogler,

Von Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Schaum wabert auf dem Fluss Musi in Indien. Es stinkt nach Fäulnis, Tod und Chemie. Die Stadt Hyderabad hat traurige Berühmtheit erreicht. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ beziehen fast alle großen Pharmahersteller – darunter Ratiopharm, STADA, Hexal – Wirkstoffe aus Fabriken in Hyderabad. Damit stammen auch viele Medikamente, die in deutschen Apotheken verkauft werden, aus indischen Fabriken. Es weiß nur niemand, denn die Lieferketten sind vollkommen intransparent. In der Packungsbeilage wird oft nur angegeben, wo das fertige Medikament am Schluss kontrolliert wird. "Made in Germany" heißt es dann, obwohl die Pillen beispielsweise in Hyderabad gefertigt werden. Um die Produktion billig zu halten und Geld für teure Entsorgung zu sparen, werden Abwässer und Reste ihrer Antibiotika in den zentralen Fluss Musi geleitet. Tatsächlich fanden Wissenschaftler der Universität Leipzig dort Antibiotikarückstände, die teils hundertfach oder mehrere tausend Mal über den vorgesehenen Grenzwerten liegen. Eine gefährliche Kettenreaktion beginnt.

Ein großer Teil aller Indienreisenden kehrt mit multiresistenten Keimen

Antibiotika, die in Gewässern landen, treffen dort auf Bakterien. Kleinste Lebewesen sind überall und ausgesprochen anpassungsfähig. Sobald sie mit Antibiotika in Kontakt kommen, entwickeln manche von ihnen Abwehrmechanismen. Die Resistenzeigenschaften können sie dann auch an kleinste Bakterien weitergeben. Die Erreger teilen und vermehren sich ständig. Aus einem können innerhalb eines halben Tages mehr als eine Milliarde werden. Über die Umwelt, die Nahrung oder das Wasser übertragen sich die Bakterien auf Menschen oder Tiere. Die Auswirkungen dieser gigantischen Umweltverschmutzung zeigen sich direkt vor Ort: In der indischen Metropole leiden viele Menschen an Infektionen, die durch multiresistente Erreger ausgelöst wurden. In den Krankenhäusern liegen Patient*innen, bei denen selbst einfache Wunden, Verletzungen oder Operationen das Leben gefährden, weil Entzündungen nicht mehr mit Antibiotika behandelt werden können. Diese Resistenzen werden weitergetragen. Von Indien in die Welt, zum Beispiel über Waren, Zugvögel, Lebensmittel oder Touristen. Ein großer Teil aller Indienreisenden kehrt mit multiresistenten Keimen zurück, die sie vorher nicht hatten. Gesunde Menschen bemerken meist nichts davon, übertragen diese aber auf andere Menschen. 

Damit Antibiotika möglichst kostengünstig angeboten werden können, findet die Herstellung heute zu 80 bis 90 Prozent in Ländern wie Indien oder China statt. Eines der letzten großen europäischen Werke in Frankfurt Hoechst hat 2016 die Produktion eingestellt. Diese Monopolstrukturen führen nicht nur zu Keimresistenzen, sondern auch zur temporären Antibiotikaknappheit – auch in Deutschland. Die Krankenkassen gehen bei Ausschreibungen von Rabattverträgen nach dem günstigsten Preis – soziale und Umweltaspekte werden nicht berücksichtigt. Die GMP-Richtlinien (Good Manufactoring Practice) sehen allerdings nur die Qualitätskontrolle der Arzneimittel vor. Umweltaspekte spielen keine Rolle. Den Kontrollinspektoren vor Ort in Indien geht es ausschließlich um die Qualität der Arzneimittel und den Schutz der EU-Bürger. Für Umweltkontrollen fehlt ihnen die Rechtsgrundlage.

Pharmaproduktion dezentralisieren, globale Standards schaffen

Wir müssen also daraufhin wirken, Umweltkriterien in die GMP-Richtlinien einzubeziehen, Kontrollsysteme in den Ländern aufzubauen und die Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Dezentralisierung der Pharmaproduktion muss wieder zum Thema werden. Wenn aber global produziert wird, brauchen wir zuverlässige, adäquate globale Standards. Hinsichtlich Bezahlung, Arbeits- und Umweltbedingungen. Der Preiskampf auf dem Pharmamarkt ist die Ursache für die Produktionsbedingungen im Ausland.

Während Gesundheitsminister Gröhe auf freiwillige Einsicht hofft und auf dem G 20 Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg darüber "reden" möchte, lassen die Pharmahersteller weiter billig in Indien produzieren und tragen so dazu bei, dass tödliche Supererreger entstehen.