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»Alle Schulden streichen, die auf die Bankenrettung zurückgehen«

Interview der Woche von Sahra Wagenknecht,

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und stellvertretende Vorsitzende der Partei DIE LINKE, kritisiert im Interview der Woche die Hetze gegen angeblich faule Südeuopäer, warnt vor dem Kaputtsparen Europas und erklärt, warum das Gelddrucken der EZB keine Lösung ist, wenn die Staaten nicht endlich von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden.


Die Eurokrise sorgt für harsche Töne. Politiker der schwarz-gelben Koalition ziehen über andere Länder der Eurozone her. Die beklagen deutschen Chauvinismus. Zu Recht? Und was bedeutet das für die Europäische Idee?

Sahra Wagenknecht: Mit der Hetze gegen angeblich faule Südeuropäer, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, wollen die Herrschenden in Deutschland von den wirklichen Ursachen der Krise ablenken. Ich verstehe gut, dass dies in den betroffenen Ländern zu Unmut führt. Zumal deutsche Politiker die dortige Bevölkerung über Kürzungsdiktate und Entmachtung der dortigen Parlamente in die Armut treiben. Eine solche Politik spielt den Chauvinisten in ganz Europa in die Hände und fügt der Idee eines solidarischen und geeinten Europa schweren Schaden zu.

SPD und Grüne stimmen im Bundestag immer mit der Regierung, wenn es um die Eurokrise geht. Anfang August haben SPD und Grüne einen Politikwechsel durch eine rot-rot-grüne Koalition mit der Begründung abgelehnt, DIE LINKE sei europafeindlich...

Wer wie SPD und Grüne im Verein mit Merkel Europa kaputtspart, ist europafeindlich. DIE LINKE kämpft an der Seite der Bevölkerung in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien gegen die unsoziale Kürzungspolitik. Dagegen haben SPD und GRÜNE dem Fiskalpakt, mit dem diese Kürzungspolitik in ganz Europa verewigt werden soll, mehrheitlich zugestimmt. Sie benutzen die europäische Idee, um durchzusetzen, dass deutsche Arbeitnehmer und Rentner für die Bankschulden halb Europas haften. Das lehnen wir ab und werden auch weiterhin gegen Rettungspakete stimmen, mit denen in erster Linie die Banken und Besitzer großer Vermögen gerettet werden.

Die schwarz-gelbe Kürzungspolitik treibt immer mehr Länder der Eurozone in die Rezession. Allen Rettungsschirmen und Krisengipfeln zum Trotz hat sich die Situation kontinuierlich verschlechtert. Warum findet kein Umdenken statt?

Die Ursache für diesen "seltsamen Triumph gescheiterter Ideen", wie das der amerikanische Ökonom Paul Krugman genannt hat, liegt in der Macht der Reichen und Superreichen begründet. In den letzten zehn Jahren haben CDU, SPD, FDP und Grüne die Reichen und Konzerne mit extremen Steuersenkungen beschenkt. Gleichzeitig haben sie die Löhne und Sozialleistungen durch Hartz IV, Leiharbeit, Mini- und Ein-Euro-Jobs gesenkt. Aktuell geht es darum, wer die Kosten für die Krise zu bezahlen hat. Es gibt leider kein Anzeichen dafür, dass die neoliberalen Parteien jetzt auf einmal von ihrer Politik zugunsten einer kleinen privilegierten Minderheit abrücken. Im Gegenteil. Vielmehr wird das Märchen von den Staaten, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten, dazu benutzt, um das Lohn- und Sozialdumpingprogramm der Agenda 2010 jetzt in ganz Europa durchzusetzen.
 
Spanien hat in Relation zum Bruttoinlandsprodukt weniger Schulden als Großbritannien. Warum wird gegen Spanien spekuliert, aber nicht gegen Großbritannien?

Wer sich von der Diktatur der Finanzmärkte nicht befreit, der bleibt deren potenzielles Opfer. Finanzmärkte spekulieren stets gegen das vermeidlich schwächste Glied in der Kette. Im Fall Spaniens machen sich dabei insbesondere die Rezession und der marode Bankensektor bemerkbar, für den der Staat in der Höhe von dreistelligen Milliardenbeträgen in Haftung genommen zu werden droht.  Außerdem hat die britische Zentralbank immer wieder offensiv auf dem Markt für britische Staatsanleihen interveniert.

Sind also nicht die Staatsschulden das Problem, sondern die Refinanzierung?

Das lässt sich nicht trennen. Das unmittelbare Problem ist zwar die Refinanzierung. Die Größe dieses Problems ist aber abhängig von den Staatsschulden, die in der Vergangenheit aufgrund der zu niedrigen Besteuerung der Reichen und durch die riesigen Kosten der Krise – insbesondere der Bankenrettungen - entstanden.

Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) eine ähnliche Rolle in Europa spielen wie die britische Notenbank in Großbritannien?

Die britische und die amerikanische Notenbanken kaufen vor allem den Banken Staatsanleihen ab. Damit pumpen sie immer mehr Geld in den Finanzsektor, ohne kontrollieren zu können, wofür die Banker das Geld verwenden. Wir dagegen fordern, dass die EZB den Staaten in einem festgelegten Rahmen direkt Kredite gibt. Die Verwendung dieser Gelder unterliegt dementsprechend der parlamentarischen Kontrolle. Die öffentlichen Haushalte müssen dabei das Geld zu den gleichen günstigen Konditionen wie die Banken bei der EZB erhalten. Das sind gegenwärtig 0,75 Prozent. Das bedeutet dann weniger Profit für den Finanzsektor, weil der den Staaten das Geld nicht mehr mit einem Zinsaufschlag weiterverleihen kann. Für die Menschen bedeutet das mehr Kitas, Schwimmbäder, Bildung oder eine menschenwürdige Pflege.

Wenn die Eurokrise nicht mit der Notenpresse gelöst werden kann, womit dann?

Wie gesagt, in unserem Krisenlösungskonzept ist die EZB eingebunden. Nachdem die Staaten durch Direktkredite von der Diktatur der Finanzmärkte befreit sind, müssen die öffentlichen Schulden durch einen Schuldenschnitt auf ein nachhaltiges Niveau gesenkt werden. Die Euro-Staaten sollten mindestens alle Schulden streichen, die auf die Bankenrettung zurückgehen. So ist gesichert, dass der Finanzsektor als Verursacher der Krise bezahlen muss. Im Schnitt wäre durch einen solchen Schuldenstreichung eine Schuldenquote von 60 Prozent erreichbar. Ergänzend muss für einen Schuldenabbau auch eine Vermögensabgabe für Millionäre durchgesetzt werden. Mit einer solchen einmaligen Abgabe wären die Kosten sozial gerecht zu finanzieren, die im Zuge der Rekapitalisierung und Vergesellschaftung des Bankensektors entstehen. Wir wollen umverteilen statt Geld drucken.

Birgt ein europaweiter Schuldenschnitt nicht das Risiko, das Banken pleitegehen? Könnte dann nicht das Finanzsystem zusammenbrechen und der soziale Crash folgen?

Nicht wenn der Staat seine Verantwortung übernimmt und die gesellschaftlich wichtigen Funktionen absichert: die Einlagen, den Zahlungsverkehr und das Kreditgeschäft. Aber für die Schulden der Banken aus abstrusen Spekulationsgeschäften dürfen die Staaten nicht haften. Das gilt insbesondere für die Schulden der Banken gegenüber anderen Banken oder Hedgefonds. Auch für das Vermögen der Multimillionäre sollte der Steuerzahler nicht haften. Wir müssen dahin kommen, dass die mit ihrem Vermögen haften, die vom Finanzmarktboom der vergangenen Jahrzehnte profitiert haben. Außerdem muss der Finanzsektor schrumpfen, der viel zu groß geworden ist und sich von der Realwirtschaft abgekoppelt hat.

Die SPD wirbt inzwischen für einen Schuldentilgungsfonds. Alle Staaten sollen nur noch mit 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts verschuldet sein, damit sie sich wieder günstiger an den Finanzmärkten refinanzieren können. Die darüber hinausgehenden Schulden sollen in den Fonds wandern, der von allen Ländern der Eurozone getragen wird. Ist das nur eine andere Art von Eurobonds, die DIE LINKE lange gefordert hat?

DIE LINKE hat Eurobonds schon vor Jahren gefordert. Damals hätte eine weitere Verschärfung der Krise vielleicht damit vermieden werden können. Heute ist es entscheidend, dass die Staaten von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden. Das ist mit Eurobonds, bei denen das Geld nach wie vor vom Kapitalmarkt kommt, jetzt nicht mehr zu machen. Damit hätte der Finanzsektor immer noch ein Erpressungspotenzial, er könnte durch Derivate weiterhin die Zinsen manipulieren und seine Beteiligung an den Krisenkosten wäre nicht möglich. Generell würde bei Eurobonds der Zinssatz immer noch ein Vielfaches dessen betragen, den die Banken bei der EZB zahlen. Das ist nicht zu rechtfertigen.

linksfraktion.de, 21.08. 2012