Zum Hauptinhalt springen

Afghanistan braucht Unterstützung, keine Besatzung

Periodika,

Auf Einladung der Fraktion DIE LINKE

besuchte die afghanische Abgeordnete Malalai Joya vor wenigen Tagen Berlin. Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin, sprach mit ihr über die aktuelle Situation in Afghanistan, die Drogenmafia und die Interessen der USA.

Heike Hänsel: Seit Ihrer berühmten Rede am 17.12.2003 in der afghanischen verfassungsgebenden Versammlung (Loya Jirga), als Sie Warlords und Verbrecher anprangerten, leben sie mit Morddrohungen. Was gibt Ihnen die Kraft, sich nicht zu beugen und weiter zu kämpfen?

Malalai Joya: Die Ungerechtigkeit und das Leid der Menschen, vor allem der Frauen, in Afghanistan, geben mir diese Kraft. Als ich in der Loya Jirga all die Kriegsverbrecher sitzen sah, die für Tausende von Toten verantwortlich sind, war mir klar, dass ich -
stellvertretend für mein Volk - die Stimme erheben musste. Dafür erhielt ich aus der Bevölkerung viel Zu-stimmung.

Sie sind seit Oktober 2005 Mitglied des afghanischen Parlaments, wie schätzen Sie die gegenwärtige politische Situa-tion in ihrer Heimat ein?

Die USA und ihre Verbündeten haben die barbarischen Taliban gestürzt, aber nicht den islamischen Fundamentalis-mus zurückgedrängt. Stattdessen arbeiten sie mit den Kriegsverbrechern der Nordallianz zusammen. Die Korruption blüht, hochrangige Regierungsmitglieder und Abgeordnete sind mit der Drogenmafia verstrickt. Währenddessen leidet die Bevölkerung: Trotz Milliardenhilfe ist die Regierung nicht in der Lage, die Mehrheit der Bevölkerung mit Wasser, Strom und Nahrung zu versorgen. Die Taliban können die allgemeine Unzufriedenheit ausnutzen. Sie werden täglich stärker.

Wie sieht das Leben der afghanischen Frauen heute aus?

Die USA und ihre Verbündeten benutzen die Not der afghanischen Frauen als Begründung für ihren Angriff gegen Afghanistan. Sie behaupten, den afghanischen Frauen Freiheit gebracht zu haben. Aber das ist nichts als eine Lüge. Das Land ist in den Händen von Warlords und Drogenbaronen, die bis auf die Knochen frauenfeindlich sind. Wie könnten wir da frei sein? Die Frauen leiden mehr denn je: Die Selbstmordrate unter Frauen war nie so hoch. Zwangsehen sind nach wie vor üblich. Frauen, die es wagen, außerhalb ihres Hauses zu arbeiten, werden bedroht und ermordet.

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung will den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Doch das Parlament hat bislang anders entschieden. Was empfindet die afghanische Bevölkerung angesichts der Präsenz deutscher und an-derer westlicher Armeen im eigenen Land?

Die Menschen in Afghanistan wissen, dass die ausländischen Truppen nicht unsere, sondern eigene strategische Interessen vertreten. Und sie sind aufgebracht über die hohe Zahl ziviler Opfer. Deshalb lehnen sie die ausländischen Truppen ab. Die Leute sehen keinen Unterschied zwischen den US- und den übrigen ausländischen Truppen. Auch die Truppen anderer Länder folgen der falschen Strategie der USA.

Was würde sich aus Ihrer Sicht ändern, gäbe es kein ausländisches Militär mehr in Afghanistan? Wie groß ist die Gefahr, dass die Taliban und Warlords Ihr Land wieder vollständig beherrschen?

Afghanistan braucht internationale Unterstützung, aber wir wollen keine Besatzung. Um einen Bürgerkrieg nach einem Rückzug ausländischer Truppen zu verhindern, müsste die Nordallianz entmachtet und konsequent entwaffnet werden. Die internationale Gemeinschaft muss die Waffenlieferungen nach Afghanistan und
die Einmischung regionaler Mächte wie Pakistan, Iran, Russland stoppen und stattdessen demokratisch gesinnte Kräfte im Land unterstützen.

Was erwarten Sie von Ihrem Besuch
in unserer Fraktion und im Deutschen Bundestag?

Ich möchte der deutschen Öffentlichkeit sagen: Glauben Sie nicht den Berichten über die angebliche Befreiung der Frauen
in Afghanistan. Ihre Soldaten sind Opfer
der US-Politik. Ihr Blut wird nicht für uns vergossen. Üben Sie Druck auf Ihre Regierung aus, damit sie demokratische unabhängige Kräfte unterstützt, statt Milliarden in die Taschen von Warlords und Mafia zu leiten. Unterstützen Sie unseren Kampf gegen Ungerechtigkeit und für Frauenrechte und Demokratie.