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Abstimmungsapparat Bundestag

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Parlament wählt den Rat der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« / Jochimsen lehnt Gesamtvorschlag ab

Von Regina Stötzel

Heute bestimmt der Bundestag den neuen Rat der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«. Zur Wahl steht ein »Gesamtvorschlag« mit den Vertretern des Bundes der Vertriebenen (BdV), der Kirchen und des Zentralrats der Juden. Luc Jochimsen (LINKE) wird eine Erklärung einreichen, warum sie diesen Vorschlag inakzeptabel findet.

Den Bundestag kennt man gemeinhin als Gremium, in dem kräftig über dies und das debattiert wird. Ohne große Worte sollen dagegen heute die Mitglieder des Rats der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« gewählt werden. Nach Streitereien um die Berufung von Erika Steinbach (BdV, CDU) in den Stiftungsrat, Austritte von osteuropäischen Forschern aus dem wissenschaftlichen Beirat und Kritik am Gründungsdirektor der Stiftung sowie an ihrer gesamten Ausrichtung, war im Frühjahr ein Änderungsgesetz verabschiedet worden. Danach sollen beide Räte vergrößert und die Mitglieder des Stiftungsrates nicht mehr von der Regierung berufen, sondern vom Parlament gewählt werden.

Von einer Wahl könne keine Rede sein, sagt Luc Jochimsen. Der Bundestag sei »zu einem Abstimmungsapparat degradiert«. Denn es gilt lediglich, über einen Gesamtvorschlag zu befinden, eine Liste, auf der die Vertreter des BdV neben denen der Evangelischen und der Katholischen Kirche sowie des Zentralrats der Juden stehen.

Da keine Debatte vorgesehen ist, hat Jochimsen eine schriftliche persönliche Erklärung verfasst, die 62 Mitglieder der Linksfraktion unterschrieben haben. Darin erklärt sie, dass sie den »Gesamtvorschlag« über die künftigen Mitglieder des Stiftungsrates und ihrer Stellvertreter ablehnt - wegen des »undemokratischen Wahlverfahrens«. Sie wolle nicht für Kandidaten des BdV stimmen, auf deren Auswahl sie keinen Einfluss habe, sagt Jochimsen, die gar nicht ausschließt, dass Mitglieder des BdV ihre Zustimmung finden könnten. Das Paket zwinge sie dazu, alle Kandidaten abzulehnen. »Ich sage damit auch Nein zur Berufung von Salomon Korn, einer Person, die ich hoch schätze, und den Vertretern der Kirchen. Das möchte ich eigentlich nicht.«

Aus demselben Grund will Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, selbst als Stellvertreter von Angelica Schwall-Düren für die SPD auf der Liste, dem vorgelegten Vorschlag zustimmen. Seine Partei habe das Wahlverfahren abgelehnt. »Aber jetzt ist es wichtig, dass die inhaltliche Arbeit der Stiftung beginnt, und die wird die SPD weiterhin kritisch begleiten.«
Dass zumindest über die Parlamentsvertreter von CDU/CSU, SPD und FDP wohl in einem gesonderten Wahlgang bestimmt wird, führt Jochimsen auf die Initiative der LINKEN zurück. Zunächst hätten die Koalitionäre behauptet, das vorgesehene Wahlverfahren sei üblich. Doch man habe den Wissenschaftlichen Dienst des Bun destages zu Rate gezogen, der bestätigte, dergleichen habe es noch nicht gegeben. Die LINKE versuche nun außerdem, bei der Bundestagssitzung eine mündliche persönliche Erklärung äußern zu dürfen. Ob das gelinge, sei noch unklar.

»Der Bund der Vertriebenen hat auf ganzer Linie gewonnen«, sagt Jochimsen, auch im Hinblick auf die unveränderte Dominanz des BdV in der Bundesstiftung. Es sei nicht hinnehmbar, dass der BdV mehr Mitglieder des Stiftungsrats stelle als der Bundestag und ebenso viele wie die drei Glaubensgemeinschaften zusammen.
Mit den Vertretern der Union, Klaus Brähmig und Stephan Mayer, dem Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen in der Unionsfraktion und seinem Stellvertreter, stehen außerdem zwei Parlamentarier auf der Liste, die seinerzeit auf der Berufung Steinbachs in den Stiftungsrat bestanden und viele Anliegen des BdV teilen dürften.

Steinbach hatte sich damals als Gegenleistung für ihren Verzicht auf den Sitz im Stiftungsrat für die Zukunft jegliche »politische Bevormundung« des BdV bei der Besetzung der Posten verbeten. Das Ziel hat sie offenbar erreicht.

Neues Deutschland, 8. Juli 2010