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»Abschreckende Präsenz«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Am heutigen Donnerstag entscheiden die Bundestagsabgeordneten in namentlicher Abstimmung über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo. Der völkerrechtliche Status des Kosovo ergibt sich nach wie vor aus der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates von 1999. Darin bekannte sich die internationale Gemeinschaft nach dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien zur »Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien«. Deren Rechtsnachfolger ist die Republik Serbien. Der Kosovo ist ein Teil Serbiens, der jedoch unter weitgehender UN-Verwaltung steht. Daran ändert auch die von Deutschland forcierte, völkerrechtswidrige Unabhängigkeitserklärung der kosovarischen Institutionen der Übergangsregierung vom 17. Februar 2008 nichts.

In der Debatte zur Mandatsverlängerung der deutschen Beteiligung an der NATO-Truppe KFOR (Kosovo Force), die dort seit dem Angriffskrieg 1999 stationiert ist, wußte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eine Erfolgsgeschichte zu erzählen. Die deutschen Soldaten hätten »einen wesentlichen Anteil daran [gehabt], daß das Kosovo heute ein unabhängiger demokratischer Staat« sei. Der Kosovo ist nichts davon. Weder ist er unabhängig, noch demokratisch, noch ein Staat. Der Kosovo ist ein europäisches Protektorat, in dem schief läuft, was schieflaufen kann. Laut zu Guttenberg ist die »abschreckende Präsenz« der KFOR nach wie vor eine »unverzichtbare Voraussetzung für den Ausbau staatlicher Strukturen«.

Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfrak­tion, wird ihm da sicher Recht geben. Denn der begründete die Mandatsverlängerung damit, daß es »für Bürger wie einheimische und internationale Firmen praktisch unmöglich [sei], ihre Rechte vor Gericht einzuklagen«. Er zitierte dabei aus einem Bericht der International Crisis Group (ICG). Das Papier macht zugleich deutlich, daß es die unterschiedlichen, widersprüchlichen und oft konkurrierenden Interessen der verschiedenen westlichen Akteure beim Staatsaufbau waren, die für das gegenwärtige Chaos verantwortlich sind. Und die ICG formuliert das noch relativ vorsichtig, denn sie war einer der wesentlichen Ideengeber bei diesem Prozeß.

Letzten Endes dient diese Art von Staatsaufbau dazu, willfährige Regierungen einzusetzen, Rechtssicherheit für ausländische Investitionen zu schaffen und ihnen den ungehinderten Zugang zu den Märkten zu verschaffen. So forderte jüngst die europäische Kommission in ihrem Bericht »Kosovo -Verwirklichung der europäischen Perspektive«, daß »bei der Privatisierung weitere Fortschritte erzielt« werden müßten - u. a. im Energiesektor, damit die Begleichung unbezahlter Rechnungen ermöglicht werden könne. Wer die Summen bezahlen soll, erwähnt die Kommission hingegen nicht. 40 Prozent der Bevölkerung des Kosovo leben unterhalb der Armutsgrenze, 15 Prozent in absoluter Armut. 75 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Eine Perspektive für eine wirtschaftliche Entwicklung des Kosovo wird international nicht gesehen, nicht einmal als verlängerte Werkbank Westeuropas, zu der andere Balkan-Länder gemacht wurden.

Deutschland zahlte in den mehr als zehn Jahren nach dem Jugoslawien-Krieg 340 Millionen Euro Entwicklungshilfe in den Kosovo. Entwickelt wurden damit vor allem der Sicherheitsbereich, Grenzschutz und Polizeiaufbau. Davon profitiren nicht selten deutsche Unternehmen, aber auch die alten Seilschaften der vor dem Krieg als terroristisch eingestuften UCK, die heute zum Teil als »Sicherheitskräfte des Kosovo« von der KFOR ausgebildet werden.

Die deutsche Beteiligung an der KFOR kostete bereits im ersten Jahr mehr als die doppelte Summe dieser sogenannten Entwicklungshilfe. Deutschland und die EU sehen lediglich im flexibel regulierbaren Zugang zum westeuropäischen Arbeitsmarkt noch die Möglichkeit, eine rudimentäre Versorgung der kosovarischen Bevölkerung zu ermöglichen und so das Konfliktpotential zu mindern, ohne mit ihren imperialistischen Grundüberzeugungen zu brechen.

Von Sevim Dagdelen

junge Welt, 10.Juni 2010