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Ablehnung war ein Urteil über eine ostdeutsche Biografie

Im Wortlaut von Lothar Bisky,

Der Chef der Linkspartei Lothar Bisky zur gescheiterten Wahl als Bundestagsvizepräsident

Moderation: Elke Durak

Der Vorsitzende der Linkspartei.PDS, Bisky, hat seine erneute Abstimmungsniederlage im Bundestag als eine Ablehnung seiner ostdeutschen Biografie gewertet. Er stehe für den Typus des loyalen DDR-Bürgers, sagte Bisky. Damit könnten sich viele Ostdeutsche identifizieren, die neben aller Kritik auch Gutes im sozialistischen Staat gesehen hätten. Bisky bekräftigte die Entscheidung seiner Fraktion, zunächst keinen anderen Kandidaten für das Amt vorzuschlagen.

Elke Durak: Der Kandidat der Linkspartei/PDS, Lothar Bisky, ihr Vorsitzender, ist auch im vierten Wahlgang zum stellvertretenden Bundestagspräsidenten gescheitert, deutlich gescheitert gestern. Die Linke verzichtet einstweilen auf die Besetzung dieses Postens. Nun haben alle eine Nacht darüber geschlafen, auch der Betreffende und Betroffene selbst. Lothar Bisky ist nun am Telefon, guten Morgen.

Lothar Bisky: Guten Morgen.

Durak: Was haben Sie denn falsch gemacht, dass Sie so wenig Vertrauen genießen im Bundestag?

Bisky: Das kann ich nicht sagen. Ich bin wohl der Vorsitzende der nicht ganz so geliebten Partei, das spielt eine Rolle, möglicherweise gibt es auch Vorbehalte gegen meine Person. Das einzige, was mich dabei ärgert, weil es ist ja eine geheime Wahl, da kann keiner Garantien abgeben, das akzeptiere ich auch: Da hätte ja einer mal was sagen können und außerdem hätte man mich fragen können, ich habe das ja ausdrücklich angeboten. Aber wahrscheinlich sind wir doch in der Situation, dass die Antworten vor den Fragen fertig sind und wenn es dann so gefestigte Bilder gibt, dann wählt man einen mit meiner Biographie eben nicht und das habe ich verstanden und insofern sehe ich das nicht als ein Naturereignis sondern als etwas, was im Bereich des Erwartbaren liegt - ich sage nicht, dass ich das erwartet habe.

Durak: Ich habe verstanden, sagen Sie, Sie sind vielleicht einer der wenigen in der PDS-Führung, der verstanden hat, wenn man sich das noch einmal anhört, was Ihr Fraktionsvorsitzender Gysi gestern in der nachfolgenden Pressekonferenz gesagt hat: Ausgrenzung bestimmter ostdeutscher Biographien, bestimmter Politikfelder und aller Wähler der Linkspartei. Millionen Ostdeutsche würden ausgegrenzt. Herr Bisky, das ist ein Alleinvertretungsanspruch, den die Linkspartei da erhebt über viele, viele Ostdeutsche. Glaube Sie wirklich, dass das so ist?

Bisky: Nein, nein, das hat Gregor Gysi vielleicht in Erregung gesagt, ich habe das nicht gehört. Das ist auch nicht das, wie er denkt, soweit ich das kenne, sondern es ist schon eine Erregung in der Wählerschaft, vor allen Dingen auch anderswo. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel an Sympathieerklärungen, Solidaritätsadressen aus allen Parteien bekommen und sehr stark aus Deutschland-West. Also nicht nur hier aus dem Osten, wo man das eher erwartet.

Es ist für mich eher erstaunlich gewesen, dass so viele Menschen, die nicht einmal Wähler oder Sympathisanten der Linkspartei sind, sich da mit langen E-Mails an mich gewandt haben oder SMS geschickt haben oder weiß der Teufel was. Das hat mich sozusagen doch auch etwas getröstet, weil damit habe ich nicht gerechnet. Und ich weiß also, dass es viele Menschen gibt, die erwartet haben, dass man mit der Linkspartei so umgeht, wie bei der Vizepräsidentenwahl mit anderen Parteien.

Denn es ist ja völlig klar: Wir haben Herrn Lammert gewählt, Herrn Thierse aus guten Gründen und wir stimmen ja politisch mit ihm nicht überein. Also dass eine solche sensible Reaktion in Deutschland-West und Deutschland-Ost gibt, hat mich überrascht. Die PDS damals und die Linkspartei heute erhebt keinen Alleinvertretungsanspruch, das wäre absurd. Wir sind im Osten stark, wir haben zum Glück im Westen stark zugelegt bei der Bundestagswahl, aber wir vertreten nicht alle. Das war nie unsere Absicht und das kann man so auch nicht behaupten.

Durak: Also keine Ausgrenzungsentscheidung gegen Millionen Ostdeutsche, Ihre Nichtwahl?

Bisky: Nein, das sehe ich so nicht. Ich sehe, dass es sozusagen ein Urteil ist über eine ostdeutsche Biographie, wie ich sie habe. Darüber habe ich auch ein Buch geschrieben, darüber bin ich viel in Lesungen - aber ich habe ja wenig Zeit, ich würde es sonst öfter machen. Und das ist eine Biographie, mit der sich viele Menschen hier im Osten identifizieren können, die sozusagen auch das Für und Wider, das man in der DDR erfahren hat, die unmöglichen Dinge, aber auch ein paar auch aus heutiger Sicht noch angenehm zu wertenden Dinge, über die man berichten kann. Ich stehe für so eine Art von loyalem DDR-Bürger, das heißt ja nicht unkritischem DDR-Bürger, aber die mit ihrer Vergangenheit eindeutig kritisch sind im Bezug auf das, was an Repression, nicht vorhandener Demokratie, wirtschaftliche Ineffizienz und so weiter da war, die aber auch andere Dinge, die ich nach wie vor für erwähnenswert halte, etwa die Förderung von Arbeiter- und Bauernkindern, also die Kinder armer Leute, die Bildungschancen. Das, was vernünftig war. Auch, denke ich, dass die Frau nicht vom Geldbeutel des Mannes abhängig war. Das sind Dinge, die kann man erwähnen, die soll man erwähnen. Aber es stimmt, ich war ein DDR-Bürger, den man als loyal ansehen kann und ich glaube, solche Biographien werden nicht akzeptiert, wenn ich die hassgeschwollenen Bemerkungen und Reden anderer auch im deutschen Bundestag höre.

Durak: Naja, Herr Bisky - das na ja bezieht sich noch einmal auf die gestrige Pressekonferenz und auf andere Äußerungen Ihres Fraktionsvorsitzenden Gysi, der, so schien es mir, irgendwie Rot gesehen hat, als er gesagt hat, die Union, lehne heute den Linken, also Sie, ab und habe früher ehemalige Nazis in höchste Ämter gewählt, die SPD habe toleriert. Im Grunde heißt das, der heutige Bundestag würde lieber einen ehemaligen Nazi wählen als Sie, den Linken. Teilen Sie diese Meinung?

Bisky: Ich habe Gregor Gysi so nicht gehört, ich habe es so nicht verstanden. Ich bitte Sie auch um Verständnis - ich war nicht dabei, weil ich da schon weg war - dass ich jetzt nicht nach Äußerungen von Gregor Gysi befragt werde. Ich habe mit ihm im Denkansatz viele Gemeinsamkeiten, aber ich kann jetzt nicht das, was ich nicht gehört habe, kommentieren. Das ist etwas, was ich in meinem Leben nicht mache. Das geht notwendig falsch, denn ich weiß nicht, wie er das gemeint hat, in welchem Zusammenhang.

Durak: Das lässt sich nachlesen und vielleicht auch nachholen und nachhören, denn es scheint mir schon wichtig für Ihre Partei, dass man da klare demokratische Spielregeln einhält, selbst wenn man sie anderen vorwirft, aber etwas anderes -

Bisky: Darf ich dazu etwas sagen?

Durak: Ja, gerne.

Bisky: Wir sind ja auch in der Fraktion im deutschen Bundestag inzwischen mehr aus Westdeutschland als aus Ostdeutschland. Dort gibt es ja auch von denen, die aus Westdeutschland kommen, einen Widerstand, wenn wir uns nur auf Ost beziehen. Wir sind - das ist auch mein Parteiverständnis - als Linkspartei eine Partei der Bundesrepublik Deutschland, das betrifft Ost und West, auch wenn wir im Osten stärker sind als im Westen. Das ist ja gerade der Fortschritt, für den ich mich auch sehr engagiert habe und weiterhin engagiere.

Durak: Bisher hat Ihre Partei, haben Sie, auf die Benennung eines neuen Kandidaten, einer neuen Kandidatin sage ich diesmal ausdrücklich, verzichtet. Wir lange wollen Sie sich trotzig in der Schmollecke zurückhalten oder wie soll man das verstehen?

Bisky: Also, ich schmolle überhaupt nicht. Ich habe gestern gesagt, es ist ok, ich habe jetzt Klarheit, eine Mehrheit hat mich nicht gewollt als Repräsentanten für den Bundestag, das ist in Ordnung. Aber ich muss deshalb nicht schmollen, ich muss deshalb nicht untertauchen, im Gegenteil. Diese Klarheit ist gut. Ich werde die Zeit, die ich dadurch gewonnen habe, für die Stärkung der Linkspartei nutzen. Das ist auch etwas, wo ich ziemlich sicher bin, es ist wichtig, dass ich mich jetzt weiterhin engagiere. Ich werde das auch tun.

Durak: Und die Fraktion selbst?

Bisky: Die Fraktion selbst hat gesagt, sie will jetzt erst einmal auch eine Zeit für ein Nachdenken haben und sie will nicht morgen schon einen Neuen präsentieren. Das geht auch nicht, das muss ich Ihnen sagen, auch die Linkspartei hat einen Stolz, der nicht verletzt werden darf. Da gibt es dann welche, die sagen, na Sie hätten doch Frau Lötzsch wählen können oder so, die möchten sie gerne haben, nur in der Fraktion ist auch in Erinnerung, dass man Frau Lötzsch und Frau Pau drei Jahre lang nicht einmal eine Schreibfläche, nicht einmal einen Tisch zur Verfügung gestellt hat.

Durak: Sie hätten jetzt andere Chancen, die beiden Frauen, da sie in satter Fraktionsstärke drin sind. Aber dies werden Sie halt später entscheiden…

Bisky: Das ist sehr richtig, aber es ist doch, das glauben manche nicht und ich bin da auch sehr skeptisch gegenüber solchen Sachen. Außerdem: so viel Selbstbewusstsein braucht eine Partei, dass sie sich von anderen Parteien nicht vorschreiben lässt, welches Personal sie zur Wahl stellt. Und das möchte man nicht und wir möchten auch diejenigen, die sich dann zur Wahl stellen, nicht in eine schwierige Situation bringen, denn erstens hat sich dazu niemand gemeldet und zweitens ist das dann ja auch schwierig, weil dann gibt es dann immer den Verdacht, warum macht der das, warum macht die das. Das ist nicht einfach für eine Partei, auch für eine Partei wie wir gestrickt sind und insofern bitte ich da einfach um Verständnis, dass die Fraktion, die sich ja ganz eindeutig und ganz solidarisch verhalten hat, jetzt erst einmal auch mal nachdenken muss und wir werden sehen, was in der nächsten Zeit da herauskommt. Im Übrigen haben wir auch gesagt, das ist auch meine Meinung, wir können weiterleben ohne einen Vizepräsidenten des deutschen Bundestages zu haben. Die Wählerinnen und Wähler haben uns für soziale Politik gewählt, der Auftrag ist ganz eindeutig, unsere Wahlaussagen sind ganz eindeutig: Wir haben uns zu kümmern um die sozialen Belange und mehr Arbeit.

Durak: In der Opposition. Eine Frage noch, heute schreiben wir den 9. November, vor 16 Jahren öffnete sich am Abend die Mauer. Ein Betriebsunfall, sagen wir mal, innerhalb des Politbüros. Ein Tag wie jeder andere für viele inzwischen. Ist das gut so?

Bisky: Nein, es ist schon ein historischer Einschnitt, egal, wie man dazu stehen mag. Der 9. November ist nicht nur aus diesem Grunde ein wichtiges Datum der deutschen Geschichte, also ich hätte mir den auch als eine Art Feiertag vorstellen können. Der 9. November war, ob ich an Liebknecht denke, ob ich an diese Judenverfolgung damals denke, ob ich an die Öffnung der Mauer denke - es ist ein historisches Datum gewesen, auf das man in besonderer Weise und in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder aufmerksam machen wollte.

Deutschlandradio, 9. November 2005