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9/11, die Milzbrandbriefe und Saddams Super-Pocken

Im Wortlaut von Jan van Aken,

Von Jan van Aken

Natürlich weiß ich noch genau, wo ich am 11. September vor zehn Jahren war: im Büro des Sunshine Project, einer kleinen Organisation, die sich mit der Kontrolle biologischer Waffen befasste - was später dann noch eine besondere Rolle spielen sollte. Das Büro war ein altes, winzig kleines Gartenhaus im Herzen Hamburgs, in dem ich gerade über irgendwelchen Recherchen brütete, als ich von den Anschlägen in den USA hörte.

Den Rest des Tages hing ich abwechselnd vor dem Fernseher, im Internet und am Telefon. Durch meine Arbeit hatte ich ja relativ viele Kontakte in der internationalen Abrüstungsszene. Und schon im Laufe des Nachmittags stand eine Frage im Raum: Welches Land wird Bush als erstes angreifen? Afghanistan, Irak oder Libyen? Aber eigentlich war uns allen klar, dass Afghanistan als erstes würde dran glauben müssen.

In den Wochen danach ging es mir wie den meisten Menschen: Hilflos musste ich mit anschauen, wie demokratische Grundrechte ausgehebelt, ein Kreuzzug gegen den Islam ausgerufen und ein Krieg vorbereitet wurden, wie Rot-Grün sich in unbedingter Kriegssolidarität übte und am Ende nicht Hamburg-Harburg - wo die Attentäter von 9/11 gelebt hatten -, sondern Kabul in Schutt und Asche gelegt wurde.

Dann kamen Anfang Oktober die ersten Nachrichten über mögliche Milzbrand-Fälle in den USA. Zuerst von einem Redakteur in Florida. Da spekulierten wir noch über einen Einzelfall. Dann wurde eine zweite Infektion bekannt und die hohe Wahrscheinlichkeit, dass jemand hier eine Biowaffe eingesetzt hatte.

Zur Erinnerung: Mindestens vier Briefe voller tödlicher Milzbrandsporen waren im September und Oktober 2011 auf den Postweg gebracht worden. Zwei Monate später waren fünf Menschen tot. 17 weitere haben eine Infektion überlebt, über 5000 Menschen mussten vorsorglich medizinisch behandelt werden. Es war der größte und spektakulärste Terroranschlag mit biologischen Waffen seit den Anfängen der Mikrobiologie.

Eines wurde ziemlich schnell klar: Der oder die Täter hatten nichts mit dem 11. September oder Al Qaida zu tun. Sie kamen aus dem Herzen der militärischen Biowaffenforschung in den USA. Jahre später wurde ein früherer Mitarbeiter des US-Biowaffenprogramms - nach seinem Selbstmord - zum Täter erklärt. Ob er es wirklich war, sei hier mal dahingestellt, zu viele Fragen sind bis heute offen.

Die Milzbrandanschläge lösten aber eine weltweite Panik aus, auch hier in Deutschland. Jedes weiße Pulver in einem Postamt brachte es in die Tagesschau. Für viele Millionen Euro wurden Pockenimpfstoffe angeschafft, und ich bekam unzählige Anrufe von besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die bei jedem leichten Anflug von Erkältung gleich nach Milzbrand-Symptomen fahndeten.

Die schlimmste Folge der Milzbrandbriefe war jedoch die Taktik der Bush-Regierung, die Angst vor Biowaffen für eine Aggression gegen den Irak zu nutzen. Im Sommer 2002 wurden die Anschuldigen gegen den Irak immer lauter und abstruser. Angeblich hätte Saddam Hussein unterirdische Biowaffenlabore oder solche in mobilen Lastern, nur ein Regimewechsel könne die Welt vor Saddams Super-Pocken schützen. Auch die eiligst aufgenommenen Inspektionen meiner Kolleginnen und Kollegen bei der UNO konnten die USA nicht stoppen. Im März 2003 begann der Krieg gegen den Irak, der in den vergangenen Jahren unendlich viel Leid und Tod über das irakische Volk gebracht hat.

Und so wirkt 9/11 bis heute weiter - im Afghanistan-Krieg, in der blutigen Gewalt im Irak, in gezielten Tötungen in Pakistan, in einer immer weiter wachsenden Islam-Angst und in einem Krieg gegen den Terror, den die USA und andere NATO-Staaten zu weltweiten Operationen nutzen. Selbst die deutschen Panzerlieferungen an Saudi-Arabien gehören hier hin, denn nach den deutschen Grundsätzen für Waffenexporte dürfen diese Panzer legal nach Saudi-Arabien geliefert werden, weil sich die NATO nach dem 11. September 2011 im Krieg gegen den Terror in einem Verteidigungsfall befindet – mit dem sich selbst solche unglaublichen Panzerexporte rechtfertigen lassen.

Aber im Vergleich zum Kreuzzug, den Bush 2001 ausgerufen hat und der in vielen Facetten bis heute fortlebt, ist das nur eine - wenn auch ziemlich tödliche - Fußnote.

linksfraktion.de, 6. September 2011