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4 Jahre Kundus: Die Opfer mahnen - Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen abziehen

Im Wortlaut von Christine Buchholz,


Während der Plenardebatte am 26. Februar 2010 gedenken Miglieder der Fraktion DIE LINKE der Opfer des NATO-Bombardements am 4. September 2009 bei Kundus - und werden daraufhin von Bundestagspräsident Lammert des Saals verwiesen.

 

 

Von Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Es ist heute vier Jahre her, dass Bundeswehroberst Klein am 4. September 2009 die Bombardierung zweier Tanklastwagen angeordnet hat, die im Kundus-Fluss in Nordafghanistan steckengeblieben waren. Aufständische hatten die Tanklaster entführt. Als sie nicht weiterkamen, wurde der Treibstoff an die Bevölkerung vor Ort verteilt.

Die Gegend ist sehr arm, so kamen viele Menschen. Bei dem folgenden Bombardement wurden 140 Menschen getötet, in der großen Mehrzahl Zivilisten, darunter viele Kinder. Es ist das größte Kriegsverbrechen, das deutsche Truppen seit dem Zweiten Weltkrieg zu verantworten haben.

Oberst Klein hatte sich auf einen einzigen Informanten verlassen, der sagte, es hielten sich nur Aufständische an den Tankern auf. Klein schlug Warnungen der Piloten in den Wind, die zunächst durch Überflüge mögliche Zivilisten vertreiben wollten.

Doch das Kundus-Bombardement war mehr als die tragische Fehlentscheidung eines Oberst. Denn es liegt in der Natur eines Besatzungskrieges wie dem in Afghanistan, dass ausländische Armeen einem unsichtbaren Feind gegenüberstehen. Dieser Feind taucht in einer Bevölkerung unter, die mit ihm teilweise oder mehrheitlich sympathisiert. Dies macht es unmöglich, den Aufstand zu bekämpfen, ohne auch Zivilisten zu treffen.

Damals führte die beteiligte Task Force 47, eine Einheit von Spezialkräften der Bundeswehr, "offensive Operationen" zur Aufstandsbekämpfung in dem Gebiet durch. Klein sah in dem Angriff die Chance auf einen entscheidenden Schlag. Er berichtete am Tag darauf, er habe beabsichtigt, "die Tanklastwagen sowie die an den Fahrzeugen befindlichen Aufständischen durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten".

In der Folge versuchte die Bundesregierung, damals eine große Koalition aus SPD und CDU/CSU, die Wahrheit zu vertuschen. Doch nach und nach kamen immer mehr Details ans Tageslicht. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages beschäftigte sich mit dem Verbrechen. DIE LINKE legte ein Sondervotum vor und gab einen zusammenfassenden Bericht ab, um die Öffentlichkeit zu informieren.

Doch was von Anfang an viel zu kurz kam, waren die Opfer und ihre Angehörigen. Deshalb fuhren mein Kollege Jan van Aken und ich für DIE LINKE im Januar 2010 nach Afghanistan, um mit Hinterbliebenen und Verletzten zu sprechen. Es war erschütternd, mit den persönlichen Schicksalen von Vätern, Müttern und Großeltern konfrontiert zu sein, die Kinder oder Enkel durch das Bombardement verloren haben, manchmal gleich mehrere. Um ihnen zu gedenken entschlossen sich die Abgeordneten unserer Fraktion daraufhin, im Rahmen der Bundestagsdebatte zur Mandatsverlängerung für den Afghanistaneinsatz im Februar 2010 sich zu erheben und die Namen wie Alter eines Teils der Opfer hochzuhalten. DIE LINKE wurde daraufhin durch Bundestagspräsident Lammert aus dem Plenarsaal ausgeschlossen. YouTube

Wichtig war es uns auch, neben den Toten die Folgen der Verletzungen, die den Bombenopfern zugefügt wurden, in die Öffentlichkeit zu bringen. In Kundus trafen wir Noor Djan, der sich zum Zeitpunkt der Bombardierung nahe der Tanklaster aufhielt. Sein Arm wurde abgerissen, doch er wurde nur notdürftig versorgt. Ihn plagten Monate später noch so starke Schmerzen, dass er sich wünschte, er wäre auch gestorben. Ihm fehlte das Geld für Schmerzmittel. Undenkbar, dass er wieder für den Unterhalt seiner Familie aufkommen kann.

Die Bundesregierung hat sich nie bei den Opfern und Angehörigen entschuldigt und außer einer Einmalzahlung auch keine ordentliche Entschädigung gezahlt. Die Respektlosigkeiten des deutschen Staates erschweren die Trauerarbeit.

Die Entsendung der Bundeswehr und anderer internationaler Truppen hat nicht der Bevölkerung in Afghanistan genutzt, sondern lediglich die korrupte Regierung um Präsident Karsai gestützt. Zwölf Jahre Einsatz im Rahmen der NATO haben unzählige Menschen das Leben gekostet, ohne die Armut im Land zu lindern. Die Taliban sind inzwischen wieder so stark wie in dem gesamten letzten 12 Jahren nicht.

Kundus mahnt uns: Es gibt keinen Kampfeinsatz ohne zivile Opfer. Internationale Interventionen der Bundeswehr dienen nicht humanitären Zwecken, sondern geopolitischen oder wirtschaftlichen Interessen. Deshalb fordert DIE LINKE den Abzug der Armee aus allen Auslandseinsätzen.

 

linksfraktion.de, 4. September 2013