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Gregor Gysi © dpa/Michael KappelerFoto: dpa/Michael Kappeler

»30 Jahre Opposition sind genug«

Im Wortlaut von Gregor Gysi, Redaktionsnetzwerk Deutschland,

Gregor Gysi wirkt quirlig wie immer, als er in seinem Bundestagsbüro zum Interview empfängt. Der 72-Jährige ist zudem auffällig schlank und braun gebrannt. Dass der langjährige Vorsitzende der Linksfraktion fünf Jahre nach seinem Rückzug nun zu ihrem außenpolitischen Sprecher auserkoren wurde, macht ihm sichtlich Freude. Interview: Markus Decker

Herr Gysi, Sie wurden kürzlich ziemlich überraschend außenpolitischer Sprecher der Fraktion, deren Vorsitzender Sie lange waren. Das erinnert an Rockstars, die lange nach einer Abschiedstournee doch noch mal ein letztes Konzert geben.

Gregor Gysi: Na ja. Ich habe meinen Abschied als Fraktionsvorsitzender erklärt und damit aus der ersten Reihe. Daran wird sich auch nichts ändern; das ist kein Comeback. Aber ich war dann der Abgeordnete der Linken, der im Bundestag am seltensten gesprochen hat – nämlich einmal im Jahr. Außerdem hat mich die Aufgabe gereizt und die Tatsache, dass wir außenpolitisch ein paar Veränderungen einleiten sollten. Außenpolitik hat mich immer interessiert. Ich nehme jetzt an jeder Sitzung des Auswärtigen Ausschusses teil. Dabei lerne ich den Bundestag nochmal ganz anders kennen.

Sie wurden neben Ihrer Prominenz und Redegewandtheit wohl auch deshalb ausgewählt, weil sonst die Radikalen in Ihrer Fraktion den Posten bekommen hätten, oder?

Die Beantwortung dieser Frage überlasse ich Ihnen. Auf jeden Fall sollten wir, wenn wir im Land A für Menschenrechte eintreten, das auch im Land B tun. Man ist nur glaubwürdig, wenn man das einheitlich macht. Ich bin zum Beispiel gerne in Kuba. Ich würdige deren Bildungssystem und Gesundheitswesen. Damit fange ich in Gesprächen immer an. Doch dann folgt ein “aber”. Sonst ist es nicht glaubwürdig. Unser noch aus BRD- oder DDR-Zeiten herrührendes Verhältnis zu Israel sollten wir ebenfalls überdenken. Die größte Schwierigkeit sehe ich aber bei internationalen Einsätzen der Bundeswehr.

Da sind wir schon beim Kernthema: einer etwaigen Koalition mit SPD und Grünen, für die jetzt in allen drei Parteien teilweise geworben wird. Die Linke hat ein feindliches Verhältnis zur Nato und ein ambivalentes Verhältnis zur EU. Beides gilt als Hindernis für eine Koalition. Lautet Ihr Auftrag, das aufzubrechen?

Die Mehrheit in meiner Partei ist für die europäische Integration. Dazu gibt es auch gar keine Alternative. Bei der Nato ist es anders. Das war aus Sicht der DDR immer das westliche Bündnis. Und man hätte 1990 eine gemeinsame Sicherheitsstruktur unter Einschluss Russlands schaffen können und müssen. Allerdings hat meine Partei nie den Austritt Deutschlands aus der Nato gefordert, sondern immer die Ersetzung durch eine solche Struktur. Das hat überdies mit der Koalition nichts zu tun. Denn für ein derartiges Modell bräuchte man ja auch die Zustimmung vieler anderer Länder. Das Problem sind in der Tat die Militäreinsätze, die wir prinzipiell für falsch halten.

Haben Sie dafür eine Lösung?

Wir könnten zum Beispiel auch als Mitglied der Nato zum Hauptvermittler werden – überall da, wo es Konflikte gibt. Früher haben das die Blockfreien gemacht, zum Beispiel Finnland und Schweden – und jetzt?

SPD und Grüne würden daraufhin bereits in Sondierungsgesprächen sagen: Das sind Wolkenkuckucksheime. Wir brauchen hier Realismus.

Dann würde ich SPD und Grünen sagen: Wir sind noch nicht in Koalitionsverhandlungen. Und meiner Partei würde ich sagen: Wer nicht kompromissfähig ist, der ist nicht demokratiefähig. Alle Schritte müssen im Übrigen in die richtige Richtung gehen. Die Schritte dürfen aber kürzer sein, als wir uns das vorgestellt haben. Punkt. So müssen wir zwar die Soldaten aus Afghanistan abziehen. Wir müssen aber ebenso dafür sorgen, dass ihre Unterstützer nicht hingerichtet werden. Generell gilt: Leicht wird nichts – auch nicht die Bewältigung der sozialen Frage, also der Renten- oder der Steuergerechtigkeit. Eine Koalition, bei der alles bliebe, wie es ist, die brauchen wir jedenfalls nicht.

2013 hatten SPD, Grüne und Linke schon mal die Mehrheit und haben sie nicht genutzt. Warum sollte es 2021 anders sein?

Damals war die Mehrheit eher zufällig, weil die FDP ausgeschieden war und die AfD knapp nicht reinkam. Außerdem war die Zeit noch nicht reif. In der SPD musste die Erkenntnis Platz greifen, dass sie an der Seite der Union eingeht. Deshalb ist die Mehrheit in der SPD jetzt für Rot-Rot-Grün, auch Olaf Scholz – selbst wenn er da gewisse Hemmungen hat. Für die SPD kann das zur Existenzfrage werden. Für die Linken sind 30 Jahre in der Opposition genug. Wir müssen mal eine andere Rolle spielen.

Weil das Konzept Protestpartei nicht mehr funktioniert?

Doch, es kann schon funktionieren. Nur eines funktioniert nicht: Dass wir im Land Berlin in der Regierung sind und in Thüringen den Ministerpräsidenten stellen – und uns dann immer noch Protestpartei nennen. Das glaubt uns keiner. Wir müssen uns eine andere Identität suchen.

Das heißt, die Linke muss sich jetzt auf Rot-Rot-Grün vorbereiten.

Wir brauchen erst mal einen Parteitag mit einer Aufbruchsstimmung und der Botschaft: Wir wollen die Bundesrepublik verändern.

Würden Sie denn an Sondierungsgesprächen teilnehmen und dabei Einfluss nehmen wollen?

Wenn ich wieder für den Bundestag kandidiere, dann möchte ich eine gewisse Rolle spielen. Das bedeutet nicht, dass ich ins Kabinett will. An Verhandlungen würde ich aber schon teilnehmen wollen. Das wäre mir wichtig – nach innen und nach außen.

Um Teil einer Linkskoalition zu werden, müssten Sie 2021 mit dann 73 Jahren in der Tat erst mal wieder für den Bundestag kandidieren. Tun Sie das?

Das entscheide ich im nächsten Jahr. Nicht jetzt.

Redaktionsnetzwerk Deutschland,