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1914/1939/2014: Krieg, Krieg und wieder Kriege

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Soldaten unter Artilleriebeschuss bei der Schlacht von Verdun 1916, Foto: Bundesarchiv/SCHERL

 

Von Luc Jochimsen, langjährige Fernsehjournalistin und Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, bis 2013 für DIE LINKE Mitglied des Bundestages

 

Der Bundestag gedenkt am 3. Juli 2014 des Beginns des Ersten Weltkrieges. Der große alte Mann einer Verständigungs- und Friedenskultur, Alfred Grosser, redet. Das Soldatenlied »In Flanders Fields« wird aus dem Plenum zur Kuppel hinaufklingen. Ein Moment, in dem der Bundestag sich an sein Vorgänger-Parlament, den Reichstag, erinnern müsste. War es doch dieses Parlament, das am selben Ort am 4. August 1914 den mörderischen Krieg mitbeschlossen, gefeiert, ja bejubelt hat.

Und welche Rolle spielte die Linke dabei? Die Sozis, Sozialisten, Sozialdemokraten als immerhin stärkste Fraktion in diesem Parlament? Noch in diesen Juli-Tagen vor hundert Jahren versuchten sie verzweifelt, gegen den Krieg zu mobilisieren, appellierten überall, wo sie konnten, an die Solidarität der Arbeiter in Frankreich und England. Die Botschaft war einfach: Wer, wenn nicht wir und ihr werden das Leid, den Tod dieses Krieges erfahren? Wollen ausgerechnet wir uns gegenseitig abstechen, erschießen, umbringen? Am 29. Juli 1914 wurden solche Reden in Brüssel gehalten. Während einer großen Friedenskonferenz vom Fraktionsvorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten Hugo Haase und dem französischen Sozialistenführer Jean Jaurès. Zwei Tage später wurde Jaurès in Paris ermordet.

Am 1. August erklärte der Kaiser Russland, am 3. August Frankreich den Krieg. Deutsche Truppen besetzen das neutrale Luxemburg und marschierten im neutralen Belgien ein. »In Flanders Fields« – das Schlachten begann sofort. Am 4. August tagte der Reichstag. Es ging um die Zustimmung zu diesem Krieg durch die Bewilligung der Kriegskredite in Höhe von fünf Milliarden Reichsmark. Die Zeitungen titelten: “Das ist des Reichstags größte Stunde! Der historische Tag! Die finanzielle Rüstung für Kaiser, Reich und Volk!” Reichskanzler von Bethmann-Hollweg ließ die Abgeordneten keineswegs im Unklaren. “Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet betreten”, sagte er in seiner Regierungserklärung und weiter. “Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts … Das Unrecht – ich spreche offen – das Unrecht, das wir somit tun, werden wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist.”

So war das am 4. August 1914. »In Flanders Fields« soll uns daran erinnern. Am Mittag hatte der Kaiser die “Vertreter des deutschen Volkes” in einer Thronrede aufgefordert, mit ihm “durch dick und dünn, durch Not und Tod” zu gehen und diese Bereitschaft durch Handschlag “zu geloben”. Die Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion blieben dieser Thronrede fern, legten das Handschlaggelöbnis nicht ab. Aber zur gleichen Stunde fasste die Fraktion den Beschluss, für die von der Regierung angeforderten Kredite zu stimmen. Mit überwältigender Mehrheit. Von 111 Abgeordneten nahmen nur 14 die Gegenhaltung ein. Der Fraktionszwang hieß sie schweigen und zustimmen.

Wie aber wurde diese Kehrtwende begründet? Zusammengefasst mit dem Satz: “Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.” Diese Begründung in der Debatte vorzutragen, wurde der Fraktionsvorsitzende Hugo Haase gegen seinen Willen gezwungen. Ebenfalls durch Fraktionsbeschluss und -zwang. Dieser Hugo Haase, Kriegsgegner, Journalist und Rechtsanwalt aus Ostpreußen, Sohn eines jüdischen Schuhmachers und Händlers, der jahrelang als einziger Strafverteidiger in Ostpreußen politisch Verfolgte vertreten hatte, erhält als einziger Abgeordneter das Wort für folgende Erklärung:

„Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Ära des Wettrüstens herbeigeführt wurde und die Gegensätze unter den Völkern sich verschärften, sind wie eine Sturmflut über Europa hereingebrochen. Die Sozialdemokratie hat diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft. Ihre Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel.“

Und da lassen die Linken von damals “das Vaterland nicht im Stich”. Wohl aber sich selbst und die Millionen Verwundeten, Toten, Geschundenen - um ihr Leben gebrachten auf den “flandrischen Feldern” und überall an den nicht enden wollenden Fronten.

Imperialistische Politik, Wettrüsten, Gegensätze unter den Völkern: Das ist der Dreiklang, der sich stets wiederholt - 1914 wie 1939 - und auf den wir auch heute achten müssen, weil diese Faktoren wieder so aktuell sind. Wird nicht imperialistische Politik “hoffähig” gemacht mit Schlagworten wie “Deutschland muss eine angemessene Rolle spielen”, “mehr Verantwortung übernehmen”, “auch militärisch”? Ist Wettrüsten nicht selbstverständlich für ein Land, das sich in die Liga der Weltmeister der Rüstungsexporte hochgearbeitet hat? Und stolz darauf ist?

Gegensatz der Völker: Wie steht es um unser Bild von Russland heute? Erinnern an 1914 bedeutet, der gegenwärtigen Kriege zu gedenken.

 

linksfraktion.de, 3. Juli 2014