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Wo bringe ich mein Kind zur Welt?

erschienen in Klar, Ausgabe 32,

Diese Ungewissheit plagte Christine Lunk, weil auf Sylt die Geburtshilfe geschlossen wurde

 

 

Wo kann ich mein Kind zur Welt bringen? Diese Ungewissheit plagte Christine Lunk (35) viele Monate ihrer Schwangerschaft, ebenso Nadja Vollmeyer (36). Sie beide wohnen auf Sylt, und seit Monaten tobt dort ein Kampf um die Geburtshilfe.

Vor einigen Monaten hatte Asklepios, der private Klinikbetreiber der Nordseeklinik auf Sylt, erklärt, die Geburtshilfe in der bisherigen Form nicht weiterführen zu können. Einer der bisherigen zwei Ärzte gehe in den Ruhestand. Seitdem überschlugen sich die Meldungen: Mal war eine Lösung in Sicht, dann doch nicht. Monatelang ging das so. Nur eine Frage blieb den Frauen: Wo mein Kind zur Welt bringen? Anfang Dezember legte sich noch Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) ins Zeug: Die Klinik habe einen unbefristeten Versorgungsauftrag für die Geburtshilfe und sie erwarte, dass dieser erfüllt werde. Einen Monat später erklärte sie: »Es ist aus fachlich-medizinischer Sicht für die Patientinnen nicht verantwortbar, eine Geburtshilfe zwanghaft anzubieten.«

»Die Ministerin ist vor der Allmacht des Asklepios-Konzerns eingeknickt«, sagt Nadja Vollmeyer. Vollmeyer und Lunk sind sich sicher: Kostengründe hätten das Aus der Geburtshilfe besiegelt. »Es geht halt ums Geld«, sagt Vollmeyer.

Dass dem so ist, hat mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun. Seit mehr als 20 Jahren tobt zwischen Krankenhäusern – egal ob privat oder in öffentlicher Hand – ein gnadenloser Wettbewerb. Seine Wurzeln hat er im Vergütungssystem: Nicht die tatsächlichen Behandlungskosten werden bezahlt, sondern nur Fallpauschalen, die sich nach Diagnosen richten.

Die Krankenhauslandschaft hat das enorm verändert. Zahlreiche öffentliche Krankenhäuser wurden geschlossen, zudem sind immer mehr in den Besitz privater Konzerne wie Asklepios, Rhön, Helios und Sana übergegangen. Viele Kommunen sahen angesichts leerer Haushaltskassen in diesen die Retter für ihre Kliniken.

Im Jahr 2010 verkaufte der Landkreis Schwandorf seine drei Krankenhäuser in Burglengenfeld, Nabburg und Oberviechtach für 50.000 Euro an Asklepios. Eine Bürgerinitiative warnte: Bereiche der Grundversorgung könnten dem Gewinnstreben zum Opfer fallen.

Nur drei Jahre später, Anfang 2013, verkündete Asklepios für den Standort Nabburg das Aus. Auf einer Sitzung des Kreistages war von Vertrauensverlust die Rede. Ein SPD-Kreisrat ließ sich in der lokalen Presse zitieren: »Der Beschluss vor drei Jahren war ein Bereicherungsprogramm für Asklepios.«

All die Aufregung half nichts. Ein paar Monate später traf es den Standort Oberviechtach. Der Asklepios-Plan: Das OP-Team in eine andere Klinik verlagern und die Vollzeitkräfte um 50 Prozent reduzieren.

Solch ein Ausdünnen der Klinik befürchten jetzt auch die beiden Sylterinnen. »Was soll die Klinikleitung hindern, einen weiteren Bereich zu schließen«, sagt Nadja Vollmeyer.

Das Aus für die Geburtshilfe hatte für die beiden Frauen unschöne Folgen. Nadja Vollmeyer wurde mit Krankenwagen und Autozug aufs Festland transportiert. Christine Lunk wartete mehr als drei Wochen von der Heimat entfernt in Hamburg auf die Geburt ihres Kindes, die meiste Zeit ohne ihren Mann. Er arbeitet auf Sylt. Wochenlang Urlaub nehmen war nicht möglich. Ihr Kind kam gesund zur Welt, aber sie sagt: »Die Trennung vom Partner und die Ungewissheit, ob er es zur Geburt schafft, nagen mehr an einem, als man sich in dem Moment eingesteht. Sollten wir noch ein zweites Kind bekommen, dann tue ich mir das nicht noch mal an.«