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„Wir müssen das ganze Spiel ändern“

erschienen in Klar, Ausgabe 13,

Seine Texte sind so bissig, dass ein Boulevardblatt ihn einen geistigen Terror-Brandstifter nannte. Klar sprach mit Marc-Uwe Kling, dem Star eines neuen politischen Kabaretts, über Zensur, Kängurus und darüber, ob Humor das Leben erträglicher macht.

Marc-Uwe, in einem deiner Lieder heißt es »Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten« oder aber »Jetzt kann man aus vollstem Herzen die Regierung wieder hassen«. Wunderst du dich darüber, dass du mit deinen kritischen Inhalten überhaupt ins Fernsehen kommst?

Marc-Uwe Kling: Ich habe darüber nachgedacht, aber ich wundere mich nicht. Das System der Zensur ist heutzutage sehr clever. Ich erlebe eine weiche Zensur, die ja im Prinzip noch viel effektiver ist.

Inwiefern?

Mein Lied über Josef Ackermann ist so ein Beispiel. Oder die Religion. In einer meiner Geschichten sagt ein Känguru, dass Gott ein Arschloch ist. Das ging nicht im Fernsehen.

Wird das von vornherein abgelehnt?

Nein, meistens wird es aufgenommen, und dann bekommt man später gesagt, tut uns leid, ging nicht durch. Einige Redakteure gehen dem Ärger lieber gleich aus dem Weg, weil sie wissen, wenn wir das jetzt ausstrahlen, dann gibt es Stress.

Im Song über Josef Ackermann heißt es »Irgendwann kriegen wir dich dran«. Das hat ein Boulevardblatt als Mordaufruf bezeichnet und dich einen geistigen Terrorbrandstifter genannt.

Ich muss zugeben, da war ich total überrascht. Denn das war lächerlich, in dem Song sage ich ja, dass Gewalt kein Mittel ist. Tagsüber hat es mich gefreut, aber abends war ich besorgt: Da dachte ich, was steht morgen wohl in der Zeitung.

Was überwiegt inzwischen? Freude oder Sorge?

Inzwischen finde ich das witzig. Ich habe daraus sogar Ideen für die Bühne entwickelt. Der Vorwurf, geistiger Terror-Brandstifter zu sein, ziert jetzt auch meine Internetseite. Außerdem wäre es schlimm, wenn jede Zeitung gut fände, was ich mache.

Kommt die gegenwärtige Krise deiner Kunst zugute, weil die Menschen zurzeit offener für Kritik sind?

Man müsste es vermuten. Andererseits hat die FDP gerade enormen Zulauf. Es ist also auch das Gegenteil sichtbar. Manche flüchten aus Panik in die völlige Ignoranz …

… oder interessieren sich gar nicht mehr für Politik …

… was eine Form der Resignation ist. Dieses Gefühl, das System ist schlecht, aber es gibt keine Möglichkeit, es zu verbessern. Dieses Gefühl, in einer Art Gummizelle zu leben, und du kannst noch so oft mit dem Kopf gegen die Wand laufen, weder dir noch der Gummizelle tut es richtig weh.

Kann man denn der Gummizelle überhaupt nicht wehtun?

Doch. Man muss herausfinden, wie sie aufgebaut ist, wo man die Nieten rausziehen kann und wo die Tür ist.

In deinen Texten verrät die Figur des Kängurus, wo es lang gehen könnte. In einer Nummer verändert es das Monopoly-Spiel so, dass plötzlich keiner mehr verliert.

Ich glaube nicht an einen guten Kapitalismus. Es ist nicht so, dass der Kapitalismus im Grunde genommen gut ist, und jetzt nur ein bisschen Amok gelaufen ist und wir könnten ihn einfangen. Wir müssen das ganze Spiel ändern.

Gar nicht so einfach.

Stimmt, aber wann immer es geht, sollte man mit Kreativität und Witz dem System etwas entgegensetzen. Man muss das Schreckliche lächerlich machen. Und sei es, um die eigene Würde zu wahren, sich als Subjekt zu zeigen, das nicht alles mit sich machen lässt.

Nur weil man lacht, verschwindet der Kapitalismus nicht.

Klar, aber Humor ist ein Mittel, um das alles hier erträglicher zu machen und auch, um vielleicht mal für einen Moment innezuhalten, in die Sterne zu schauen, die Position zu bestimmen und sich zu fragen, fahre ich überhaupt in die richtige Richtung.