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Willkommen am Arbeitsplatz

erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Dank Förderprogrammen des Landes gelingt es in Thüringen, Flüchtlinge mittels Ausbildung und Arbeit zu integrieren, wie das Beispiel Ammar Wanlys zeigt.

Das Labor der Zahntechnik Kipp GbR im thüringischen Apolda ist lichtdurchflutet. Ammar Wanly streicht mit einem Metallspachtel weiches Wachs auf ein Gipsmodell. Am Arbeitsplatz nebenan surrt eine winzige Schleifmaschine. Der junge Mann lässt sich nicht stören und steckt einen künstlichen Zahn in die rosafarbene Masse. Konzentriert verändert er dessen Ausrichtung. Präzision ist gefragt. Hier entsteht eine Zahnprothese.

»Er passt gut in unser Team«, lobt Matthias Kipp, Inhaber des Zahntechniklabors, seinen neuen Mitarbeiter. Ammar Wanly stammt aus Syrien. Der 25-Jährige hat in Damaskus Zahntechnik studiert. Berufspraxis hat er in Syrien und Dubai gesammelt. Doch sein Plan, ein eigenes Labor aufzumachen, wurde vom Krieg durchkreuzt. Um der Einberufung in die Armee oder der Zwangsrekrutierung durch Rebellen zu entgehen, flüchtete Ammar.

Den Tag, als er Deutschland erreichte, kann er sofort nennen: am 28. Mai 2014. Über Dortmund und Eisenberg landete er in Erfurt, wo er heute noch wohnt. Das Haus seiner Familie in Damaskus ist inzwischen zerstört. Eine Aufenthaltsgenehmigung hat er bis 2017.

Im vergangenen Jahr wurden laut der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl rund 1,1 Millionen Menschen in Deutschland als Asylsuchende registriert. Weil viele von ihnen doppelt oder dreifach registriert wurden und etliche in andere Länder, insbesondere nach Skandinavien, weitergereist sind, lag die Zahl der in Deutschland Schutzsuchenden im vergangenen Jahr bei rund 800.000. Im ersten Quartal dieses Jahres haben in Deutschland laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 175.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt, fast 90.000 von ihnen stammen aus Syrien, weitere 45.000 aus Irak und Afghanistan.

Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow (DIE LINKE), hat frühzeitig in den Flüchtlingen eine Chance für sein Bundesland gesehen. Aus Thüringen sind in der Vergangenheit mehr als 400.000 Menschen abgewandert. »Alle, die willens sind, sich zu integrieren, werden in Thüringen eine Chance bekommen, um sich eine berufliche Perspektive zu erarbeiten«, sagte er in einer Regierungserklärung im November des vergangenen Jahres. Er kündigte an, über ein Landesarbeitsprogramm Projekte zu finanzieren, die Langzeiterwerbslose und Flüchtlinge gleichermaßen Ausbildung und Arbeit bieten. Fünf Millionen Euro wolle das Land hierfür bereitstellen. In Thüringen gebe es zudem 20.000 leer stehende Wohnungen und 5.000 freie Lehrstellen, erläuterte Ramelow.

 

Erst Praktikum, dann Arbeitsplatz

Für Heike Werner (DIE LINKE), Arbeits- und Sozialministerin in Thüringen, steht bei der Hilfe für Flüchtlinge der humanitäre Aspekt im Vordergrund. Integration bedeutet für sie, »die zu uns flüchtenden Menschen in unsere Gesellschaft einzubeziehen«. Auf ihre Initiative hin widmet sich das Ministerium der sozialen Integration von Flüchtlingen: Es geht um die Vermittlung in Praktika, um Ausbildung und Beschäftigung.

Bestehende Förderprogramme wurden erweitert. Sie helfen bei der Anerkennung beruflicher Abschlüsse, bieten praktische Kompetenzchecks und sorgen für die Vermittlung berufsbezogener Sprachkenntnisse. Bis Ende 2017 stehen dafür rund 6,6 Millionen Euro zur Verfügung. Zu den Partnern vor Ort zählen regionale Akteure der Flüchtlingsarbeit – vor allem Anbieter von Integrations- und Sprachkursen – ebenso wie die örtlichen Wirtschaftszusammenschlüsse.

Ammar Wanly absolvierte in Erfurt zunächst einen Sprachkurs. Das Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement beriet ihn zur Anerkennung seines Berufsabschlusses. Bei der Handwerkskammer konnte er einen Fachlehrgang belegen, dann vermittelte sie ihn im Rahmen eines geförderten Projekts an Matthias Kipps Firma. Im August 2015 begann Ammar Wanly dort ein Praktikum. Danach wurde seine Ausbildung anerkannt – und er selbst eingestellt – unbefristet. »Die Leistungen haben mich überzeugt«, hebt Zahntechnikmeister Kipp hervor. Ammar habe sich zudem die deutsche Sprache »schnell auf gutem Niveau« angeeignet.

Völlig problemfrei ist Ammar Wanlys neues Leben dennoch nicht. So galt sein syrischer Führerschein nur sechs Monate, nun ist er auf Bus und Bahn angewiesen. Und um in einer Moschee zu beten, muss er nach Weimar oder Jena fahren. Alles in allem ist er aber mit seinem Leben in Thüringen sehr zufrieden.

In der Wirtschaft stoßen die Projekte zur beruflichen Integration von Flüchtlingen auf positive Resonanz. Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südthüringen im Oktober 2015 hat ergeben, dass drei von vier Unternehmen grundsätzlich bereit sind, Flüchtlinge auszubilden und zu beschäftigen. Bei IHK und Handwerkskammer Südthüringen sind bereits Migranten als Flüchtlingskoordinatoren tätig.

Die Erfolge haben sich herumgesprochen. Der Umgang mit Flüchtlingen sei in Thüringen gut organisiert und »beispielhaft für andere Bundesländer«, sagt Frank-Jürgen Weise, Leiter des BAMF.

Stefan Wogawa