Zum Hauptinhalt springen

Wie haben Sie gestimmt?

erschienen in Clara, Ausgabe 3,

Diana Golze über Kinder, Tornado-Einsätze, Familienkrach der Koalition und französische Verhältnisse

Der Zufall wollte es, dass das Bundestagmobil im März Station in Rathenow machte. Ein Riesentruck, stets beflaggt mit zwei schwarz-rot-goldenen Fahnen. Im Selbstverständnis und Auftrag des Bundestages rollen 23 Tonnen als Werbeträger der Demokratie quer durch Deutschland, um über das Parlament und die Arbeit seiner Abgeordneten zu informieren.

Eine von ihnen ist Diana Golze, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linken. Sie sitzt auf der Treppe des weißen Info-Riesen und blinzelt in die Frühlingssonne.

Von den Schülerinnen einer 10.Klasse, die plötzlich lärmend aus dem Mobil stürmen, ist sie kaum zu unterscheiden. Jeans und Cordparka, randlose Brille, kastanienbraune, lange Haare - so kennt man sie in Rathenow. Einst war es die Stadt mit »besonderem Durchblick«, denn hier wurden zu DDR-Zeiten Brillen en gros hergestellt. Zurück blieb lediglich ein Markenhersteller, der mit Geld-zurück-Garantie wirbt und hier sein Hightech-Logistikzentrum errichtet hat.

Diana Golze ist seit Jahren mit dieser Stadt verbunden. Sie ist nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung und Mitglied des Kreistags Havelland. Sie mag es, Politik zu »machen«, auf kommunaler wie auf Bundesebene. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie wichtig Kinder- und Jugendprojekte sind, weil sie selbst in einem groß geworden ist.

»Man kann in Berlin Politik machen, ohne mit den Wählern im Alltag in Kontakt zu kommen. Es gibt Abgeordnete, die steigen montags in Berlin aus dem Flieger, werden vom Fahrdienst abgeholt und zu irgendeinem Eingang des Bundestages chauffiert. Dann tauchen sie ab, weil man sich unterirdisch zwischen den Gebäuden des Parlaments bewegen kann.«

Mit ihren 31 Jahren hat Diana Golze nicht die Abgeklärtheit von manchen Berufspolitikern, die ihre Lebensnähe in Aufsichtsräten von Konzernen und in Kanzleien suchen. Sie begeistert sich für »coole« Ideen des Kinder- und Jugendparlaments von Rathenow und gewinnt Kraft aus dem Wissen, gemeinsam etwas bewirken zu können.

Auch deshalb sind ihr die Wahlkreiswochen zwischen den Plenarsitzungen besonders wichtig. Sie kann sich Zeit nehmen für ihre Wähler und für die eigene Familie. Familien- und Wahlkreis sind bei ihr mit den gleichen Koordinaten zu finden.

Die Leute, die sie an diesem Vormittag vor dem Bundestagmobil ansprechen, haben nicht selten den Glauben an Demokratie verloren. Die Hoffnung, dass ihnen jemand »von oben« helfen kann, nicht. Eine Szene an diesem Tag wird der jungen Abgeordneten lange im Gedächtnis bleiben. Während sie mit Schülerinnen über deren Zukunftspläne spricht, kommt eine ältere, gut gekleidete Frau auf sie zu. Respekt und sicher auch ihre gute »Kinderstube« halten die Rentnerin davon ab, mit der Tür ins (mobile) Haus zu fallen. Dann nimmt sie allen Mut zusammen und unterbricht beherzt die Volksvertreterin. Sie hat ein Anliegen, jetzt, sofort, das ist nicht zu übersehen.

Ohne Umschweife fragt sie Diana Golze, wie sie votiert hat, als es im Bundestag um den Tornado-Einsatz in Afghanistan ging. Natürlich hat Diana Golze, wie alle Mitglieder der Linksfraktion, dagegen gestimmt. Doch die große Koalition schert sich wenig darum, dass drei Viertel der Bevölkerung das ebenso wie die Linken sehen. Die Mehrheit im Parlament hat für den Einsatz der Aufklärungsflugzeuge gestimmt. Die alte Dame bricht in Tränen aus. Sie habe zwei Söhne und Enkel - und nun diese Angst. Sie weiß, was Krieg bedeutet. Sie versteht nicht, warum eine Mehrheit im Bundestag die Söhne und Enkel anderer Mütter dorthin schickt.

Diana Golze hat wegen ihrer Stimmabgabe ein gutes Gewissen und ist dennoch nach der Entscheidung der Regierungskoalition hilflos und wütend. Im Bundestags-Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlebt sie häufig die gleiche Situation.

»Wir haben uns inzwischen einen fachlich guten Stand erarbeitet. Mitunter wagen sogar SPD-Abgeordnete zu nicken, wenn DIE LINKE. Vorschläge macht.«

Trotzdem lehnen Sozialdemokraten, oft gegen die eigene Überzeugung, linke Anträge immer wieder ab. Das war auch in den Debatten um das Elterngeld so. Nach Anhörungen der Sachverständigen hat DIE LINKE. unter anderem Vorschläge zum Geschwister-Bonus eingereicht. Die wurden abgelehnt, um dann zwei Wochen später mit fast gleicher Formulierung in Anträgen der Koalition wieder aufzutauchen. Diana Golze versucht, generös mit den Kräfteverhältnissen umzugehen. Es geht ihr um die Kinder.

»Wie lange sich die Kolleginnen und Kollegen der SPD das noch erlauben können, ist eine Frage der Zeit.«

Kinder und Familie liegen derzeit im Trend in Deutschland. Damit lässt sich politisch gerade punkten. Das Spektakel um Kinderganztagsbetreuungsplätze löst bei Diana Golze nur Kopfschütteln aus. Das von Familienministerin von der Leyen geforderte Kinderkrippenprogramm ist längst europäischer Standard. Dennoch sei es wichtig, dass Deutschland endlich aufholt.

Rathenow macht dabei keine Ausnahme. Wenige Straßen vom Märkischen Platz entfernt, auf dem das Bundestagsmobil parkt, gibt es den Verein Kleeblatt e. V. - ein Zentrum für Familie, Frauen und Kinder. Diana Golze ist Mitglied des Vereins von Beginn an. Die liebevoll eingerichteten Räume sind Begegnungsstätte für meist arbeitslose Mütter und Spiel- und Krabbelstube für die Kleinen. Nach der Logik Brandenburger Gesetze haben Kinder von Müttern ohne Arbeit auch keinen Anspruch auf einen Kitaplatz. Wer ein Kind hat, das noch keine drei Jahre alt ist, kann hierherkommen. Das kostet 50 Cent die Stunde und einen Euro, wenn man das Kind hier abgibt, um Behördengänge zu erledigen oder mal ein bisschen Zeit für sich zu haben. Kleeblatt e.V. muss ohne Unterstützung der öffentlichen Hand auskommen und finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Wie die Initiatoren es schaffen, den Verein finanziell immer wieder am Leben zu erhalten, wissen sie selbst manchmal nicht. Kindern arbeitsloser Mütter und Väter bleibt oft schon von Beginn an vieles verwehrt und Türen verschlossen. Hier im Kleeblatt sind sie alle gut aufgehoben, bekommen Zuwendung, Hilfe, Rat, Gemeinsamkeit.

Diana Golze ist selbst seit zweieinhalb Jahren Mutter. Lachend zitiert sie gern einen Satz ihres Mannes: »Wenn wir gewusst hätten, wie schön es mit einem Kind ist, hätten wir schon früher damit angefangen.« Die Familienplanung ist bei Golzes längst noch nicht abgeschlossen. Wie alle Eltern wünschen sie sich das Beste für ihr Kind.

Dass der Wunsch für immer mehr Kinder aus armen Familien ein frommer bleibt, davor kann und will Diana Golze nicht die Augen verschließen. Deshalb hat DIE LINKE. einen Antrag zur Kindertagesbetreuung für Kleinstkinder eingebracht, um die Startbedingungen für die Jüngsten zu verbessern.

Über Armut, sagt sie, werde in Deutschland viel zu wenig gesprochen. Über Armut von Kindern noch weniger. »Das muss sich ändern. Wir brauchen mehr Wissen darüber, wo Armut beginnt, wie sie sich manifestiert und auswirkt auf Kinder. Und wir müssen mehr tun dagegen, dass Kinder wegen Armut von Beginn an ausgeschlossen und abgeschoben sind.« Oft fragt sie sich, warum so viele von Armut Betroffene dennoch so wenig dagegen auf der Straße protestieren.

»Wir brauchen wohl erst französische Verhältnisse, wo Lkw-Fahrer gegen Dumpinglöhne für Berufseinsteiger protestieren. Erst wenn wir mehr Solidarität in der Gesellschaft haben, dann ändern sich auch Mehrheiten.«