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Wenn Frauen in Rente gehen wollen

erschienen in Lotta, Ausgabe 13,

In Frankreich nennt man die Zeit nach der Berufs- und Familienphase „das dritte Alter“. Die Weichen für ein gutes Leben im Ruhestand werden lange zuvor gestellt. Vor allem für Frauen gibt es Entscheidungen und Wendepunkte, die sich später nachteilig auswirken können. Die neoliberale Doktrin „Privat ist besser als Staat“ bringt Stress und birgt Risiken. Die meisten Menschen fühlen sich überfordert, wenn sie zwischen den verwirrenden Angeboten für Riesterverträge oder Kapitalanlagen für die Altersvorsorge wählen sollen. Viele Menschen können sich aber ohnehin eine private Zusatzrente gar nicht leisten. Umso wichtiger ist eine sichere, eine verlässliche gesetz liche Rente. Martina war nach dem Studium drei Jahre lang angestellt. Dann kamen die Kinder. Ihr Partner machte Karriere. Seine Rentenanwartschaft ist gut. Hinzu kommen eine Betriebsrente und eine private Versicherung. Gut versorgt, könnte man meinen. Aber gilt das auch für Martina? Die abgeschlossenen privaten und betrieblichen Rentenversicherungen schreiben fest, dass im Falle von Manfreds Tod noch fünf Jahre Rentenleistungen an Martina weitergezahlt werden würden. Danach wäre Schluss. Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente gibt es bei privaten Versicherungen – anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung – nur gegen Extrakohle. In der üblichen, vertragsabschlussorientierten Versicherungsberatung steht eine gleichwertige Absicherung beider Partner nicht im Fokus. Geschlechtergerechtigkeit ist hier ein Fremdwort. Im Scheidungsfall wäre Martina – wie viele andere Frauen auch und trotz des gesetzlichen Versorgungsausgleichs – von Armut bedroht. Rückblickend weiß Martina, dass der Verzicht auf eine eigenständige Erwerbstätigkeit ein Fehler war. Denn das deutsche Rentensystem ist überwiegend auf Erwerbsarbeit ausgerichtet. Das bedeutet, dass derzeit nur eine gut bezahlte Arbeit über viele Jahre hinweg zu einer guten Rente führt. Der sogenannte Gender Pension Gap entsteht, weil Frauen weniger Beitragszeiten haben und weniger verdienen. Die Regelaltersrente betrug 2015 bei Frauen 634 und bei Männern1.056 Euro. Innerhalb des aktuellen Rentensystems ist daher der beste Schutz gegen Altersarmut von Frauen, ihre wirklich gleichberechtigte Teilhabe an der Erwerbsarbeit und die damit zusammenhängende Entlastung von der unbezahlten Hausarbeit. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung muss neu verhandelt werden. Alle Menschen, Frauen ebenso wie Männer, sollten in die Lage versetzt werden, sich an den verschiedenen Tätigkeiten wie Erwerbsarbeit, Familien- und Sorgearbeit, gesellschaftlich-politisches Engagement, eigene Entwicklung zu beteiligen. Ein gerechtes Rentensystem muss Ausgleiche schaffen für niedrige Gehälter und geleistete Sorgearbeit. Aber bis dahin gilt: Prekäre Beschäftigung und Hungerlöhne bringen keine guten Renten. Auch für Isabell nicht. Sie baute als Kfz-Meisterin ihr eigenes mittelständisches Handwerksunternehmen auf, die Autowerkstatt lief gut. Entscheidungen zu ihrer Altersversorgung traf sie souverän. Sagt sie. Wie von der Handwerkskammer empfohlen, zahlte sie so wenig wie möglich in die Gesetzliche Rentenversicherung ein. Nach 18 Jahren Handwerkerpflichtversicherung meldete sie sich ab. Stattdessen baute sie über ihre GmbH eine betriebliche Versorgung auf. Ein Rat des Steuerberaters, um Steuern zu sparen. Damals konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Selbstständigkeit irgendwann aufhören könnte. Heute ist die Werkstatt verkauft, sie arbeitet als Angestellte in einem Blumenladen. Die Altersversorgung von einst musste beitragsfrei gestellt werden. Dabei fielen beträchtliche Gebühren an und das angesparte Guthaben verringerte sich durch Abzüge. Unterm Strich ein herbes Verlustgeschäft. Damit das Leben im „dritten Alter“ wirklich in Würde und weitgehend sorgenfrei genossen werden kann, muss es auf sicheren Fundamenten ruhen – auf öffentlicher Daseinsvorsorge und Solidarität. Eine gesetzliche Rentenversicherung, in die alle einzahlen, ist dafür eine gute Basis. Aber gerade für Frauen muss sie mit anderen Maßnahmen zusammengehen.

Regina Stosch ist wissenschaftliche Referentin in der Fraktion DIE LINKE

Warum Frauen bei der Rente auf der Strecke bleiben!

 ° In nur wenigen Ländern Europas ist der Lohnabstand zwischen Frauen und Männern so groß wie in Deutschland

° Das Rentensystem ist auf Erwerbsarbeit ausgerichtet

° Frauen sind daran ungleich beteiligt (Minijobs, Teilzeit, Niedriglohn), das hat massive Folgen für die Rente

° 45 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit

° 30 Prozent der Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor

° Der Frauenanteil in der Pflege beträgt 80 Prozent, im Gesundheitsbereich 70 Prozent. Beides Berufe, die niedrig entlohnt werden und wenig Prestige besitzen

° Laut Statistischem Bundesamt leisteten Frauen im Jahr 2003 rund 96 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit (Haus- und Familienarbeit)

° Die durchschnittliche Altersrente der Frauen West beträgt 490 Euro, das entspricht der Hälfte der Rente der Männer

° Frauen Ost beziehen durchschnittlich 705 Euro Altersrente, das sind 300 Euro weniger als bei den Männern

 

° 2/3 der Beziehenden der Grundsicherung im Alter sind Frauen