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Was ist Frauenarbeit der Gesellschaft wert?

erschienen in Lotta, Ausgabe 6,

Frauen arbeiten vor allem dort, wo es um Menschen geht: als Krankenschwestern, Pflegerinnen, Verkäuferinnen, Hebammen, Sozialpädagoginnen, Erzieherinnen und im Ehrenamt. Ohne sie wäre kein Staat zu machen. In der Bezahlung spiegelt sich der Wert ihrer Arbeit für die Gesellschaft allerdings nicht wider.

Pflege

Der Frauenanteil im Pflegebereich liegt bei mehr als 80 Prozent. Sie verrichten physische und psychische Schwerst- arbeit. In Schichten mit Nachtdiensten, am Wochenende, zu Weihnachten und an sonstigen Feiertagen. Von den ins- gesamt 2,3 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland leben derzeit 700 000 in Heimen. Bis 2030 werden angesichts der steigenden Lebenserwartung mehr als drei Millionen Menschen auf pflegerische Hilfe angewiesen sein. Eine groß angelegte Studie der Bertelsmann- Stiftung prognostiziert für 2050 sogar 4,5 Millionen zu pflegende Frauen und Männer. Es werden also dringend Fachkräfte gebraucht. Die Ausbildung dauert drei Jahre, findet an Berufsfachschulen statt und gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil.

Momentan sind laut Angaben des Arbeitgeberverbands Pflege 900 000 Menschen in der Altenpflege tätig. Sie verbleiben im Schnitt jedoch nur zwischen siebeneinhalb und achteinhalb Jahren im Job. Viele von ihnen sind dann seelisch und körperlich ausgepowert. Examinierte Pflegerinnen verdienen monatlich in Vollzeit zwischen 2200 und 2500 Euro. Zu wenig für die lange Ausbildung, für Nachtarbeit und häufige Wochenenddienste. Jeder zweite Beschäftigte in der Branche ist Hilfspflegerin oder Hilfspfleger. Sie verdienen gerade Mal zwischen 1200 und 1800 Euro brutto monatlich.

 

Einzelhandel

Im Einzelhandel arbeiten bundesweit rund drei Millionen Beschäftigte. An vielen Orten, in vielen Bereichen haben sie in der letzten Jahreshälfte 2013 gestreikt. Astrid Plaß, Verkäuferin im OBI- Markt Erfurt, zu den Gründen: „Wir streiken, weil der Arbeitgeberverband die Tarifverträge aufgekündigt hat. Wir fordern einen Euro mehr pro Stunde. Unsere Leute arbeiten teilweise für weniger als 1200 Euro im Monat auf die Hand“. Der von ver.di organisierte Arbeitskampf hat sich für die Beschäftigten von Kaufhäusern, Bau- märkten, Lebensmittel- und Textildiscountern gelohnt. Die Kündigung des Manteltarifvertrags wurde zurückgenommen, rückwirkend zum

1. Oktober 2013 gab es drei Prozent mehr Geld und zum 1. Juli 2014 kommen noch einmal 2,1 Prozent hinzu. Das gilt allerdings nur für Unternehmen mit Tarifbindung.

In der Berlin-Brandenburg-Region betrifft diese Erhöhung deshalb nur etwa die Hälfte der Beschäftigten. Die anderen schuften weiter außerhalb des Tariflohns, nicht selten zu Niedriglöhnen. Hinzu kommt die unterschiedliche Bezahlung in Ost und West. Ein Viertel- jahrhundert nach dem Mauerfall liegen die Löhne in den neuen Ländern erst bei 80 Prozent des Westniveaus. Des Weiteren gibt es im Einzelhandel eine besonders hohe Quote von Teilzeit- und Minijobbeschäftigten.

 

Sozialarbeit

Ein Bereich, in dem ebenfalls vorrangig Frauen arbeiten. Im Jahr 2011 waren rund 73 Prozent der Sozialpädagogen und etwa 80 Prozent der Sozialarbeiter weiblich. Sie arbeiten mit Kindern, Jugendlichen, in Familien, Schulen, Projekten verschiedener Träger, bei Jugendämtern. Sie betreuen, erziehen, bilden, begleiten, fördern, unterstützen. Dazu benötigen sie einen Bachelor- oder Masterstudienabschluss. Das Studium dauert drei bis vier Jahre. Trotz Hoch-, Fachschul- oder Universitätsausbildung zählt die Sozialarbeit zu den am schlechtesten bezahlten akademischen Berufen in Deutschland. Zum Entgeltdilemma kommen noch die Beschäftigungsverhältnisse: Frauen in dem Job sind befristet, zunehmend als Honorarkräfte oder in Teilzeit angestellt.

 

Reinigungsbranche

In der Gebäudereinigung, im Haushalt, im Bereich der Textilreinigung arbeiten zu 90 Prozent Frauen. Bei der Straßenreinigung und in der Müllabfuhr sind es hauptsächlich Männer. Seit Januar 2013 existiert für die unterste Lohngruppe bei Berufseinsteigerinnen ein Mindestlohn von 9 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten. Er gilt allerdings nur in Unternehmen, die sich an Tarifvereinbarungen orientieren. Der Beruf kann professionell erlernt werden, in einer dreijährigen Berufsausbildung. Viele Frauen arbeiten an- oder ungelernt in diesem Job, dazu Teilzeit. Darüber hinaus übertragen zahlreiche Unternehmen ihre Reinigungsarbeiten an Zeitarbeitsfirmen. Die Löhne dort liegen oft weit unter dem Tariflohn.

 

Hebammen

Es ist jetzt drei Jahre her, im Jahr 2010 startete der Deutsche Hebammenver- band eine Petition und reichte sie im Bundestag ein. Sie fand so viele Unterstützerinnen und Unterstützer, dass sie die erfolgreichste Petition wurde, die es bis zu diesem Zeitpunkt je gab. Und sie schaffte, was nicht viele Ein- und Widersprüche erreichen: Es gab eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss, in der die Vorsitzende des Hebammenverbands die dramatische Situation der Hebammen erläuterte. Hebammen müssen eine Berufspflichtprämie abschließen. Die stieg in den vergangenen Jahren drastisch an: im Jahr 2010 auf 3689 Euro und seit Mitte 2012 kostet sie 4242,35 Euro im Jahr. Ab Sommer 2014 soll die Versicherung für selbstständige Hebammen auf 5091 Euro steigen. Das sind Summen, die die Geburtshelferinnen faktisch zur Aufgabe ihres Berufs zwingen.

Nur noch ein Bruchteil der Hebammen – die übrigens die einzigen medizinischen Fachfrauen sind, die nicht auf ärztliche Anweisung, sondern selbstständig arbeiten – sind in Kliniken fest angestellt. Etwa 60 Prozent arbeiten freiberuflich, rund 30 Prozent haben einen Teilzeitjob im Krankenhaus und arbeiten ansonsten frei. Der Jahresver- dienst einer in Vollzeit tätigen freien Hebamme liegt bei 14.150 Euro, das macht einen durchschnittlichen Stundenlohn von 7,50 Euro. Selbst berufserfahrene und angestellte Hebammen kommen nur auf das bescheidene Jahreseinkommen von 27.000 Euro brutto.

 

Ehrenamt

Ehrenamt bedeutet Dienst ohne Vergütung. In Deutschland arbeiten mehr als 23 Millionen Menschen ehrenamtlich. Das heißt, jeder oder jede Dritte kümmert sich unentgeltlich und freiwillig um einen guten Zweck. Sie bringen Kindern das Schwimmen bei, übernehmen Patenschaften in Pflegeheimen, löschen Feuer, sind beim Deutschen Roten Kreuz, begleiten im Hospiz Menschen beim Sterben, verteilen über die „Tafeln“ Essen an Arme und Bedürftige. Vieles im sozialen Bereich würde ohne das Engagement der Freiwilligen nicht mehr funktionieren. Laut einer Studie der Versicherung AMB Generali leisten Frauen und Männer pro Jahr 4,6 Milliarden Stunden ehrenamtliche Arbeit. Würde diese Zeit mit 7,50 Euro Stundenlohn bezahlt werden, brächte das einen Nutzen von 35 Milliarden Euro. Oder anders gesagt: Die Leistungen der unentgeltlichen Helfer entsprechen einer Arbeitszeit von 3,2 Millionen Vollzeitbeschäftigten.

Das bürgerschaftliche Engagement hat eine lange Tradition und ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft un- erlässlich. Fragwürdig wird es jedoch dann, wenn das Ehrenamt vom Staat missbraucht und für Aufgaben eingesetzt wird, bei denen der Sozialstaat seiner Verantwortung nicht mehr gerecht wird. Beispiele aus dem Armutsbericht der Bundesregierung: Fast acht Millionen Menschen arbeiten für Niedriglöhne, jedes fünfte Kind ist abhängig von Sozialleistungen, rund zwölf Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze. 1,5 Millionen Menschen – vor allem in den Großstädten – sind mittlerweile regelmäßig auf Lebensmittelspenden der „Tafel“ angewiesen. Dazu zählen auch Rentner, Lang- zeitarbeitslose, Familien mit geringen Einkommen. Der Bundesverband Deutsche Tafel e. V. stuft die eigene Organisation nach 20 Jahren als „eine der größten sozialen Bewegungen unserer Zeit“ ein. Das stimmt und für viele bedürftige Menschen wäre es eine Tragödie, wenn es die Hilfe der Tafeln nicht gäbe. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter können die Not jedoch nur lindern. Die grundsätzlichen Lösungen für die sozialen Probleme muss die Politik suchen und finden. Es ist beschämend genug, dass ein so reiches Land wie die Bundesrepublik so ein „mittelalterliches“ Almosensystem überhaupt braucht und sich darüber hinaus auch darauf verlässt.