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»Warum akzeptieren die Europäer das?«

erschienen in Klar, Ausgabe 20,

Die Wahrheit über Afghanistan: Junge Menschen berichten über die Situation in ihrem Land.

Die meisten Parlamentarier von CDU, FDP und SPD würdigten ihn keines Blickes. Dabei war der Afghane Said Mahmoud tausende Kilometer gereist, um bei der Abstimmung über die Verlängerung des Afghanistankriegs im Bundestag anwesend zu sein. Als die Deutschen über die Zukunft seines Landes sprachen, erhob er sich schweigend auf der Besuchertribüne des Parlaments. Doch kaum jemand schenkte ihm Aufmerksamkeit.

Said Mahmoud ist Sprecher der Afghanischen Solidaritätspartei, einer jungen Partei, die die herrschende Politik am Hindukusch bekämpft. Auf Einladung der Fraktion DIE LINKE weilte er Ende Januar einige Tage in Deutschland. »Im afghanischen Parlament werden die Interessen des einfachen Volkes nicht vertreten«, sagt er. Dort und in der Regierung säßen vor allem Warlords, Taliban und Kriegsverbrecher. Ihre Herrschaft stütze auch die Bundeswehr. Nun ein weiteres Jahr.

Er und seine Mitstreiter leben gefährlich, seit sie sich für ein neues, ein anderes Afghanistan engagieren. Für Präsident Karzai sind sie bedrohlich, weil sie Demokratie fordern. Von den Taliban werden sie verfolgt, weil sie sich für die Rechte von Frauen einsetzen. »Ich weiß, dass ich sterben kann«, sagt Said Mahmoud. Aber die Hoffnung darauf, dass es seinem Land irgendwann besser gehe, lasse ihn das ertragen.

Auch Mariam Rawi von der afghanischen Frauenorganisation RAWA war zur Abstimmung nach Berlin gekommen. Seit mehr als dreißig Jahren kämpft ihre Organisation dafür, dass Frauen Bildung und gleiche Rechte erhalten. Alle Mitglieder müssen im Untergrund arbeiten. Sie verwenden falsche Namen, zeigen nie ihre Gesichter. »Wir sind hier in Deutschland, um zu erzählen, wie es wirklich ist«, sagt Mariam Rawi. Die westlichen Regierungen hätten Fundamentalisten gegen Fundamentalisten ausgetauscht. »Es gibt keine Verbesserung, es ist schlimmer geworden: Arbeitslosigkeit, Krankheiten, Kindersterblichkeit und vieles mehr«, berichtet sie. Dazu die tägliche Gefahr durch Bombenangriffe der NATO, Taliban-Selbstmörder und die Regierung Karzai.

Unverständlich ist ihr, warum westliche Staaten wie Deutschland die afghanische Regierung von Präsident Karzai unterstützen. Er arbeite mit den Taliban zusammen, einige säßen sogar wieder auf Regierungsposten und im Parlament. »Warum akzeptieren die westlichen Staaten das?«, fragt sie. Genauso wie Said Mahmoud wünscht sie sich einen Abzug der westlichen Truppen. Ein solcher Abzug bedeute zwar nicht, dass plötzlich alles besser sei. »Aber wenigstens hätten Fundamentalisten wie Karzai nicht mehr die gewaltige finanzielle Unterstützung«, sagt sie. Seine Freiheit müsse sich das afghanische Volk selbst erkämpfen.