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Vor und hinter der Mauer

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

Eine Kehrtwende in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ist undenkbar, solange Eliten von gestern in Zukunft eine neue Politik gestalten sollen.

Vor der Mauer stehen Russland, China, Indien, Brasilien und ganz Afrika. Kann diese Mauer, die die Europäische Union in den vergangen Jahren aufgebaut hat und die von Jahr zu Jahr höher wird, den europäischen Wohlstand auf Dauer gegen den Rest der Welt sichern? Kann die Mauer Flüchtlinge aus Afrika auf Dauer von uns fern halten und das massenhafte Eindringen von chinesischen und indischen Produkten eindämmen? Europa hat keine Zukunft, wenn es sich weiter von der Welt abschottet. Insbesondere Deutschland muss eine Kehrtwende vollziehen. Das Geschäftsmodell »Export, koste es was es wolle« ist tot. Der Exportweltmeister lebt auf Kosten anderer Länder, die sich das nicht länger gefallen lassen werden. Das wusste die Bundesregierung, sie hat aber nie etwas dagegen getan und es billigend in Kauf genommen. In der Krise zeigt sich, dass der Handel als Einbahnstraße nicht mehr funktioniert. Der deutsche Export schrumpft im Zeitraffertempo. Der vernachlässigte Binnenmarkt kann die Exporteinbrüche nicht kompensieren, da hilft auch kein kurzatmiges und schmalbrüstiges Konjunkturprogramm. Die Menschen brauchen langfristige Perspektiven, um wieder Vertrauen zu fassen. Das Konjunkturprogramm ändert nichts an dem schnell wachsenden Niedriglohnsektor, es beseitigt nicht den Mangel an Lehrern, Sozialarbeitern, Schulpsychologen, Dozenten, Professoren und Steuerprüfern. Nur wenn mehr Menschen wieder in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kommen und die soziale Lage der Menschen, die keine Arbeit haben, wesentlich verbessert wird, gibt es eine Chance auf Belebung des Binnenmarktes.

Die sozialdemokratischen Globalisierungs-Politiker der vergangenen Jahre haben sich auch gern als Internationalisten ausgegeben. DIE LINKE wurde von Müntefering als »national sozial« diffamiert. Die SPD warf uns vor, dass wir nicht erkennen würden, welch großer Gewinn die Globalisierung für alle Menschen sei. Unsere Kritik an der Deregu-lierung und der Schrumpfung des Staates wurde belächelt und als altmodisch abgetan. Die herrschende Politik forciert beide Prozesse mit Begeisterung. Wir haben immer gesagt, die Globalisierung braucht klare Regeln. Doch diese Regeln wurden nicht aufgestellt. Im Gegenteil, die wenigen Bestimmungen, die es gab, wurden sogar noch demontiert. Das ist Programm dieser Bundesregierung. In der CDU/CSU-SPD-Koalitionsvereinbarung ist nachzulesen: «Die Mindestanforderungen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) an das Risikomanagement der Banken sollen schlank ausgestaltet werden.« Schlank heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes als wegschau-en. Die Aufsicht ist zum Papiertiger degradiert. Der Staat schränkte seine Handlungsfähigkeit ein, und gleichzeitig griffen die Marktradikalen nach den sozialen Sicherungssystemen.

Betriebsrenten unkontrolliert in Pensionsfonds

Die staatliche Daseinsvorsorge, insbesondere die Privatisierung der Altersvorsorge, wurde zu einem einträglichen Geschäft für Versicherungen und Banken. Hatten betriebliche Pensionspläne 2002 noch ein Volumen von 3,5 Billio-nen Euro, rechnet man im Jahr 2020 mit einem Volumen von 17 Billionen Euro. 30 Prozent des weltweiten Finanzkapitals stammen heute schon aus Pensionsfonds. Die Rot-Grüne Regierung hatte diese Entwicklung aktiv befördert, indem sie eine steuerneutrale Umstellung der sicheren betrieblichen Rücklagen für die Betriebsrenten in Pensions-fonds ermöglichte. Deren Manager sind auf der Jagd nach Traumrenditen. Sie sind dabei nicht zimperlich, wenn es darum geht, Unternehmen auszupressen. In Großbritannien werden zwei Drittel der Pensionspapiere von fünf Portfo-liomanagern verwaltet. Welch eine gewaltige Machtkonzentration. Wer will und kann diese Manager kontrollieren?

In der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise werden die Globalisierer von gestern zu eifernden Protektionisten. Opel wird nur gerettet - so der Wirtschaftsminister - wenn keine deutschen Steuergelder in die USA fließen. Dass die Deutsche Bank 9,1 Mrd. Euro Steuergelder aufgrund des Beinahe-Kollapses des Versicherers AIG aus den USA bekommen hat, stört keinen deutschen Regierungspolitiker. Es ist doch grotesk, dass die, die immer von der globalen Vernetzung der Finanzströme redeten, plötzlich eine Finanzmauer zwischen Deutschland und den USA aufbauen wollen. Natürlich ist es nicht zu verhindern, dass deutsche Steuergelder ins Ausland fließen. Wer immer noch glaubt, dass die Krise von einem Staat allein zu lösen ist, der hat gar nichts verstanden. Ich habe deshalb wenig Hoffnung, dass die Bundesregierung international zur treibenden Kraft wird, wenn es um die Regulierung der Finanzmärkte und die Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise geht. Das G20-Gipfeltreffen Anfang April bekräftigte, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) mehr Kompetenzen bei der Krisenprävention bekommen soll. Das macht mich skeptisch, war es doch der IWF, der immer wieder die Liberalisierung der Finanzmärkte forderte und einen wesentlichen Anteil an der Verschärfung der Asienkrise in den 90er Jahren hatte. Wäre es nicht angebracht, dass endlich einmal die nationalen und internatio-nalen Eliten, die Jahrzehnte den Neoliberalismus gepredigt haben, in die Wüste geschickt werden? Ist denn eine Kehrtwende in der Finanz- und Wirtschaftspolitik überhaupt denkbar, solange diese Eliten von gestern in den Institutionen sitzen, die in Zukunft eine neue Politik machen sollen? Ich habe da meine Zweifel.

Euro vor Zerreißprobe
Auch hinter der Mauer gerät die europäische Welt aus den Fugen. Die Europäische Union ist keine Insel der Seligen. Die Spannungen zwischen und in den EU-Ländern entwickeln eine bedrohliche Sprengkraft. Der deutsche Finanzmi-nister sieht noch keinen Handlungsbedarf, obwohl einige Länder vor dem Staatsbankrott und der Euro vor einer Zer-reißprobe steht. Die betroffenen Länder haben die EU aufgefordert zu helfen, doch aus Brüssel und Berlin bekamen sie eine Absage. Wenn stabilere Länder den instabilen die Hilfe verweigern, sägen sie an dem Ast, auf dem sie sitzen. 18 Prozent des deutschen Exports gingen 2008 in die neuen EU-Länder. Will die Bundesregierung es wirklich riskieren, dass diese Länder in eine dramatische Schieflage geraten? Der Finanzminister fürchtet eine zu hohe Staatsverschuldung. Doch aktuelle Studien, die die 13 großen Finanzkrisen untersucht haben, zeigen, dass drei Jahre nach den Krisen die reale Staatsverschuldung um durchschnittlich 86 Prozent gestiegen ist. Das wird diese Bundesregierung auch mit der beschlossenen Schuldenbremse nicht verhindern können, es sei denn, ihnen ist der Schuldenabbau jetzt wichtiger als die Krisenbekämpfung und die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Jetzt zeigt sich, dass eine gemeinsame Währung und freier Kapitalfluss noch kein solides Konzept für Europa sind. Die LINKE fordert die Festlegung und Durchsetzung von Sozialstandards in allen EU-Ländern. Wir werden uns nicht damit abfinden, dass einige Länder, wie z.B. Deutschland, meinen, es müsse keinen gesetzlichen Mindestlohn geben. DIE LINKE hat den Mut zu sagen, dass wir keine Mauer um Europa brauchen. Sie ist unmenschlich, teuer, nutzlos und schadet auf lange Sicht den Interessen der Europäer.