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Verhandlungspoker vor dem Show-Down

Von Sahra Wagenknecht, erschienen in Clara, Ausgabe 36,

Warum die Bundesregierung beim Schuldenstreit mit Griechenland Angst vor einem Präzedenzfall hat, erläutert Sahra Wagenknecht.

Die Frontstellung nach der Wahl in Griechenland war klar: Auf der einen Seite die Syriza-Regierung, gewählt, um das Kürzen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen zu beenden. Auf der anderen Seite die Gläubigerphalanx aus den anderen Regierungschefs der Eurozone, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB). Insbesondere für die Bundesregierung steht viel auf dem Spiel. Denn bei einem erfolgreichen Aufstand der linken Regierung in Athen gegen die Troika-Politik würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der die Vorherrschaft des deutschen Lohn- und Sozial-dumpings als angebliches Krisenlösungsmodell in Frage stellt.

Um an Griechenland ein Exempel zu statuieren, gibt es für die Bundesregierung im Verhandlungspoker zwei Ziele: Entweder die linke Regierung in Athen verschwindet – oder sie exekutiert die Vorgaben der Gläubiger wie ihre Vorgängerregierungen. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis bringt es auf den Punkt: „Die Gläubiger würden gerne die ganze Regierung degradieren, jedenfalls wenn sie nicht kapituliert.“ Griechenland steht einem übermächtigen Gegner gegenüber. Doch im Gegensatz zur biblischen Erzählung von David und Goliath hat die neue Regierung in Athen keine direkte Konfrontation gesucht. Im Februar erklärte sie, dass sie „ihren Verpflichtungen gegenüber all ihren Kreditgebern nachkommen“ werde. Das hat schwerwiegende Folgen. Von Februar bis April hat Griechenland auf die untragbare Schuldenlast rund 2,5 Milliarden Euro Zinsen gezahlt, Geld, das nicht zur Linderung der katastrophalen sozialen Situation und zur Ankurbelung der Wirtschaft verwendet werden konnte.

Offenbar setzte die Regierung von Alexis Tsipras darauf, Zeit zu gewinnen, um mehr Unterstützung bei den anderen Regierungen der Eurozone zu erreichen. Zudem hoffte man auf eine Veränderung der politischen Landschaft in der Eurozone durch die spanischen Parlamentswahlen Ende des Jahres, wo ein Sieg der neuen linken Partei Podemos („Wir können“) möglich schien.

Griechenland braucht einen Schuldenschnitt

Bisher gibt es aber leider kein Anzeichen dafür, dass die Phalanx der Gläubiger aufgebrochen werden kann. Denn auch die EZB beteiligt sich weiter am „fiscal waterboarding“ (Varoufakis) und erpresst Athen mit der möglichen Kappung der Geldversorgung griechischer Banken. Damit mischt sich die Zentralbank massiv in die Politik ein, obwohl sie dafür kein Mandat hat. Wie viel Zeit bleibt der Syriza-Regierung unter diesen Umständen überhaupt noch?

Die Antwort lässt sich in Euro messen, denn Geld ist für die Syriza-Regierung Zeit. Der Kassenstand ist zwar nicht bekannt, auf jeden Fall aber prekär: Denn Merkel und ihre Verbündeten haben bereits Ende 2014, als sich ein Wahlsieg von Syriza abzeichnete, den finanziellen Spielraum des griechischen Staates systematisch reduziert. Eine damals planmäßige Auszahlung der letzten Kredittranchen des IWF, der Geberländer und der EZB in Höhe von insgesamt 7,2 Milliarden Euro wurde zurückgehalten. Auch nach der Verlängerung des laufenden „Hilfsprogramms“ im Februar wurde kein Euro überwiesen. Die Bundesregierung bleibt kompromisslos. Und die Suche der Regierung Tsipras nach alternativen Geldquellen erweist sich als schwierig: Auch die Hoffnung auf eine kurzfristige Liquiditätsspritze in Milliardenhöhe als Vorabzahlung aus einem griechisch-russischen Pipeline-Projekt erfüllte sich zunächst nicht.

Die akute Finanznot wird dadurch verstärkt, dass die Steuereinnahmen Anfang des Jahres stark zurückgingen. Dadurch wird wohl der Primärsaldo – also der Saldo aus laufenden Einnahmen und Ausgaben ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen – dieses Jahr wieder negativ sein. Neben Zins- und Tilgungszahlungen in Höhe von rund 13 Milliarden Euro sind damit auch mehrere Milliarden Euro für die laufenden Ausgaben zu finanzieren. Ohne „frisches“ Geld kann ein Staatsbankrott bis Jahresende nicht verhindert werden. Insbesondere im Juli und August sind hohe Tilgungszahlungen von rund 7 Milliarden Euro fällig.

Bereits aktuell ist die Lage extrem angespannt. Um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, musste die griechische Regierung inzwischen umstrittene Maßnahmen ergreifen. So wurde Ende April ein Dekret im griechischen Parlament verabschiedet, das der Regierung den Zugriff auf die liquiden Überschüsse öffentlicher Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Universitäten sichert. Zentrale Forderungen von Syriza aus dem Wahlkampf, wie die Anhebung des Mindestlohns, müssen aufgrund der anhaltenden Erpressungspolitik der Gläubiger verschoben werden.

Die griechische Bevölkerung braucht in dieser schwierigen Phase unsere uneingeschränkte Solidarität. Die beste Hilfe ist eine klare Opposition gegen Angela Merkels Erpressungspolitik. So wie für Syriza ist auch für die Fraktion DIE LINKE die Forderung nach einem Ende der Kürzungspolitik nicht verhandelbar. Deshalb braucht Griechenland einen Schuldenschnitt. Das ist auch zum Vorteil für die deutschen und europäischen Steuerzahler, denn bei einem unkontrollierten Zahlungsausfall Griechenlands wäre der Verlust größer.

Sahra Wagenknecht ist 1. stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE