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Und es hat Peng! gemacht

erschienen in Clara, Ausgabe 37,

Mit kritischen und häufig witzigen Aktionen ist das Peng! Collective zu einer Instanz für politische Kampagnen geworden. Ihr jüngster Coup: ein Aussteigerprogramm für Geheimdienstmitarbeiter.

Mit so einem Abwerbeversuch haben die Geheimdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) in der Zweigstelle Berlin-Lichterfelde wohl nicht gerechnet. Direkt vor dem Eingang des BND-Gebäudes stehen an diesem frühen Morgen Ende September drei junge Menschen. Diese sind schick gekleidet, lächeln und strecken all jenen, die ins Gebäude wollen, Werbeprospekte entgegen. „Aussteigerprogramm für Geheimdienstmitarbeiter“, steht darauf.    Wie den deutschen Geheimdienstlern in Berlin mag es an diesem Morgen auch vielen ihrer britischen und US-amerikanischen Kollegen ergehen. Vor dem Hauptquartier des britischen Geheimdienstes in Cheltenham parkt ein Lkw mit Werbeplakat. Zu lesen ist: „Intelexit – Wir helfen Menschen, den Geheimdienst zu verlassen.“ Auch hier verteilt ein Aktivist Prospekte. Ähnliche Szenen spielen sich an vielen anderen Orten der Welt ab, an denen Geheimdienste der USA, Englands und Deutschlands sitzen. Sogar vor einem der Lieblingsrestaurants der NSA-Mitarbeiter in Maryland taucht ein Werbetruck zur Mittagszeit auf. Die Botschaft ist überall dieselbe: „Geheimdienstler steigt aus“. Dazu der Hinweis auf die Internetseite Intelexit.org, die persönliche Beratung und Hilfestellung anbietet.   Hinter Intelexit, einer Art Aussteigerprojekt für Beschäftigte bei Geheimdiensten, steckt das Berliner Peng! Collective. Es ist ein Zusammenschluss von Politaktivisten, Wissenschaftlern und Künstlern. Seit einigen Jahren schon sorgen sie mit witzigen und bissigen Aktionen zu Themen wie Umweltschutz, Flüchtlingen und Sexismus für Aufmerksamkeit und befeuern gesellschaftliche Debatten.    Tarnname Paul von Ribbeck   Ein oft gewähltes Mittel der Peng!-Aktivisten ist die Täuschung. Mal geben sie sich als Mitarbeiter großer Konzerne aus, mal faken sie Internetseiten von Prominenten oder infiltrieren mit falschen Identitäten Veranstaltungen. So auch beim ersten großen Coup im Dezember 2013, als sie es mit dem Ölmulti Shell aufnehmen. Just zu einer Zeit, in der der Konzern wegen Ölprobebohrungen in der Antarktis heftig kritisiert wird, lobt dieser eine Art „Jugend forscht“-Wettbewerb im Berliner Tempodrom aus. Das Motto: „Ideen für die Zukunft der Energie“. Für Kritiker der klassische PR-Versuch, dem Unternehmen ein umwelt- und verantwortungsbewusstes Image zu verleihen.    Was Shell nicht weiß: Unter den Bewerbern ist auch ein Mitglied des Peng! Collective mit dem Fantasienamen Paul von Ribbeck. Die Idee, mit der er sich bewirbt: Das Auto der Zukunft reinigt die Luft anstatt sie zu verschmutzen. Dazu habe er eine „Wundermaschine“ entwickelt, die das Kohlendioxid im Abgas speichert und später industriell weiterverwertbar macht, zum Beispiel als Kohlensäure für Cola oder Mineralwasser. „BS-5000 Auto“ heißt die Erfindung. BS steht für Baumstärke und das eben 5000-fach, weil die Maschine so viel Kohlendioxid reinige wie 5.000 Bäume.   Paul von Ribbeck wird eingeladen und macht aus dem Event ein PR-Desaster für den Konzern. Vor laufenden Kameras schiebt er seine Wundermaschine auf die Bühne. Doch statt sauberer Luft produziert diese unter dem Jubel einiger Anwesender eine riesige Ölfontäne. Noch bevor die Veranstalter die Mikrofone abstellen können, ruft der von oben bis unten verschmutzte Paul von Ribbeck in Richtung Kameras: „Hier kann man den Stecker ziehen, in der Arktis nicht.“ Das Video wird ein viraler Hit, Dutzende Zeitungen berichten.   Zwei Jahre später wird derselbe Paul von Ribbeck zusammen mit einer weiteren Person von Peng!, Gloria Spindle, die Konferenz re:publica in Berlin entern, eines der größten Treffen zur digitalen Gesellschaft. Dieses Mal geben sie sich als Mitarbeiter von Google aus und präsentieren Produkte, die die Privatsphäre besonders irrwitzig verletzen – gefälschte Pressemitteilungen und Internetseiten des Konzerns inklusive. Der Konzern reagiert zwar schnell, doch die Meldungen sind im Netz und damit in der Welt.   Im April 2015 überrumpelt Peng! den Konzern Vattenfall. Aktivisten entern die Berliner Firmenzentrale und geben dort für das Unternehmen eine Pressekonferenz. Kurzerhand verkünden sie einen radikalen Kurswechsel: Vattenfall werde nur noch auf nachhaltige Energien setzen und Milliarden in der Lausitz für Solar- und Windkraft investieren. Parallel dazu geht eine der Vattenfallseite sehr ähnliche Internetseite online und gefakte Twitteraccounts von Vattenfallmanagern sorgen für viele Nachrichten.    Was auffällt bei den Peng!-Aktionen: Sie sind nicht nur hochaktuell und politisch, bissig bis dreist, sondern oft auch witzig und eine brillante Kombination verschiedener Aktions- und Kunstformen wie Schauspiel, Subversion und ziviler Ungehorsam. Und vor allem: Fast immer sind sie ein riesiger Medienerfolg. Man könnte sagen: Die Medien fliegen auf Peng! Man könnte aber auch sagen: Peng! kreiert durch die Perfektion der Aktionen, worum sich andere – vor allem linke – Akteure im öffentlichen Raum oft vergeblich bemühen, nämlich mediale Aufmerksamkeit für eigene Anliegen.   Bisher wurde Peng! nur ein einziges Mal verklagt   Neben den gesellschaftlichen Debatten will Peng! auch etwas anderes erreichen: „Wir wollen die NGO-Szene ermutigen, radikaler zu denken und neue Taktiken des zivilen Ungehorsams, der Subversion und des Widerstands auszuprobieren“, sagt einer ihrer Pressesprecher, dessen Namen zu nennen sinnlos wäre, da er ohnehin falsch ist. Die Erfahrung der Peng!-Aktivisten ist: NGOs aus ganz verschiedenen Bereichen finden die Aktionen oft klasse, unterstützen sie aber häufig nur heimlich.    Peng!-Aktionen finden oft im juristischen Grenzbereich statt – auch jüngst, als Peng! im Sommer eine gewaltige Kampagne zur Fluchthilfe startet. Die Idee: Deutsche Urlauber sollen auf der Rückreise aus der Mittelmeerregion Flüchtlinge im Pkw mitbringen – auch wenn das rechtliche Probleme nach sich ziehen kann. Dazu initiiert Peng! eine Website mit einer Anleitung zur Fluchthilfe und einen Rechtshilfefonds. Manch ein Kritiker sah darin ein strafbares Verhalten. Für viele NGOs wären solche rechtlich umstrittenen Aktionen und Kampagnen undenkbar – aus Sorge vor schlechter Presse, vor rechtlichen Konflikten oder weil sie Spender nicht verprellen wollen.    Obwohl die Aktivisten von Peng! für ihre Anliegen täuschen und lügen, Konzernzentralen besetzen oder sich als deren Sprecher ausgeben, wurden sie erst einmal verklagt. Zumindest behauptet das ihr Pressesprecher. Eine Erklärung dafür hat er parat: „Peng! zu verklagen, ist PR-mäßig eine dumme Idee.“ Und so dumm sei bisher nur ein privater Fernsehsender gewesen. Der Medienrummel um Peng! und ihr Erfolg, so scheint es, bilden eine Art Schutzschild gegen Klagen von Konzernen. Ob dieser Schild auch stark genug ist gegen Geheimdienste und deren Aktivitäten, das werden die kommenden Monate zeigen.    Mit dem Aussteigerprogramm für Geheimdienstmitarbeiter hat Peng! erneut ins Schwarze getroffen. Drei Tage nach dem Start der Kampagne ziehen Aktivisten eine erste Bilanz. Sie berichten von einem Medienecho weltweit und von ersten Anfragen von vermeintlichen Geheimdienstmitarbeitern, die aussteigen wollen. Wie ernst gemeint die seien, so Peng!, das prüfe man noch. Erfahrung mit Täuschung haben sie ja.   Derweil gehen die Abwerbeversuche weiter, werden immer dreister: Anfang Oktober dringen Preng!-Aktivisten mit einer eigenen Drohne in den Luftraum über einem NSA-Komplex in Darmstadt ein und lassen Flugblätter vom Aussteigerprogramm auf die Geheimdienstmitarbeiter niederregnen.