Zum Hauptinhalt springen

Teamplayer

Von Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht, erschienen in Clara, Ausgabe 38,

Seit Oktober sind Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gemeinsam die neuen Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. In clara sprechen sie über ihre Ziele, über Fluchtursachen und über Chancen für einen Politikwechsel.

In Unternehmen und Verbänden sind Doppelspitzen extrem selten. Warum hat die Fraktion sich jüngst für ein Duo an der Spitze entschieden?    Dietmar Bartsch: Die Doppelspitze ist für die Fraktion die richtige Lösung, denn sie bringt deren pluralen Charakter zum Ausdruck. Zudem bietet sie eine große Chance, unterschiedliche Sichtweisen bei der Erarbeitung gemeinsamer Positionen produktiv zu machen.   Wie führt man zu zweit erfolgreich?    Sahra Wagenknecht: Das Erfolgsrezept ist, dass ein gegenseitiges Grundvertrauen existiert und beide ihre jeweiligen Stärken einbringen.   Haben Sie untereinander Arbeitsbereiche aufgeteilt: Der eine macht Außenpolitik und Umweltschutz, die andere kümmert sich um Steuern und Sport?   Bartsch: Nein, wir sind als Generalisten gefragt und wollen die Fraktion zusammenführen. Wir haben eine andere, eine pragmatische Aufgabenteilung: Wir leiten im Wechsel die Fraktionssitzungen und die Tagungen des Vorstands. Und wir wechseln uns bei den Pressekonferenzen ab.    Welche Rolle spielt der neugewählte Fraktionsvorstand?   Bartsch: Eine sehr wichtige. Er ist das Führungsgremium der Fraktion. Alle Mitglieder des Vorstands haben sehr konkrete Aufgaben. Und wir sind überzeugt, dass wir als gutes, erfolgreiches Team arbeiten werden.   Welche politischen Ziele verbinden Sie mit dem Fraktionsvorsitz?   Bartsch: Wir wollen politisch etwas bewegen und sichtbar machen, dass es Alternativen zu einer Politik gibt, die die Gesellschaft spaltet.    Wagenknecht: Wir wollen, dass DIE LINKE nicht nur ein starker Faktor bleibt. Wir wollen, dass sie noch stärker wird, damit es anderen Parteien – auch der SPD – schwerer fällt, eine Politik zu machen, die allen Ansprüchen sozialer Gerechtigkeit ins Gesicht schlägt. Und das ist auch akut der Fall in der Flüchtlingsfrage. So wie es jetzt läuft, läuft es darauf hinaus, dass die Menschen mit niedrigen Löhnen und kleinen Renten am Ende für die Integration der Flüchtlinge zahlen werden.   Warum?   Wagenknecht: Weil die Bundesregierung zu feige ist, die Reichen angemessen zu besteuern. Weil sie noch nicht einmal bereit ist, die aktuellen Überschüsse im Bundeshaushalt an die Kommunen weiterzugeben, damit die nicht woanders kürzen müssen, um die Integrationskosten zu tragen. Das ist ein fataler Ansatz.    DIE LINKE fordert „offene Grenzen für Menschen in Not“. Wie realistisch ist diese Forderung angesichts vieler Millionen Flüchtlinge weltweit?   Bartsch: Es ist eine notwendige Forderung im Sinne der Würde jedes Menschen. Sie muss Teil eines umfassenden Ansatzes sein, der insbesondere die Not der Menschen vor Ort lindern will. Flüchtlinge sind Botschafter der Kriege und des Elends der Welt – und wir müssen uns fragen, wer dafür verantwortlich ist. Die deutschen Waffenexporte sind eben mitverantwortlich dafür, dass Menschen aus ihren Heimatländern fliehen müssen.   Wagenknecht: Jeder weiß, dass Deutschland nicht jedes Jahr Millionen neue Flüchtlinge aufnehmen kann. Aber es ist unendlich verlogen, über Obergrenzen zu reden und gleichzeitig weiter Fluchtursachen zu produzieren. Die meisten Menschen fliehen nicht aus Ländern, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden, sondern aus Ländern wie Afghanistan oder Syrien, also aus Ländern, in denen sich der Westen und teilweise auch Deutschland militärisch engagiert und einmischt. Vor allem die USA, aber auch Deutschland haben einen erheblichen Anteil daran, dass in vielen Ländern die Gesellschaft so destabilisiert worden ist, dass dort Bürgerkriege und Kriege herrschen, und wir liefern die Waffen, die diese Kriege am Leben erhalten. Bartsch: Aber auch als Exportweltmeister sorgt Deutschland dafür, dass es immer mehr Flüchtlinge gibt.   Inwiefern?   Bartsch: Wenn man zum Beispiel im Supermarkt in Nigeria deutsche Hähnchen und Milchprodukte kaufen kann, weil sie billiger sind als vor Ort erzeugte, dann zerstört das die lokale Landwirtschaft und zwingt Menschen, die zu Hause keine Perspektive haben, zur Flucht.  Wagenknecht: Die Freihandelsabkommen, die Deutschland mit armen Ländern abschließt, haben zur Folge, dass die europäischen Exportindustrien sich die Märkte unter den Nagel reißen, die örtliche Industrie und Landwirtschaft den Bach runtergehen und die Leute ihre Jobs verlieren.   Wenn Deutschland für Flucht mitverantwortlich ist, welche Verantwortung trägt dann die Politik?   Wagenknecht: Mit jeder politischen Entscheidung, die hier getroffen wird, wird auch darüber entschieden, ob woanders neue Fluchtursachen entstehen oder nicht. Das Beispiel mit den Freihandelsabkommen zeigt: Fluchtursachen lassen sich beseitigen, man muss einfach aufhören, so eine Politik zu betreiben und derartige Abkommen abzuschließen.   Bartsch: Ganz praktisch: Durch Gelder an das UN-Flüchtlingshilfswerk kann die deutsche Politik mitentscheiden, ob die Lebensmittelrationen in den Flüchtlingslagern gesichert werden. Wegen Geldmangels mussten sie reduziert werden, ein Skandal! Und in Deutschland kann entschieden werden, ob mit Niedriglöhnen Billigprodukte erzeugt werden, die dann die Märkte in Afrika zerstören oder nicht.    Nach den Anschlägen von Paris wächst auch hierzulande die Angst vor Terror. Wie sollten Politik und Gesellschaft darauf reagieren?   Bartsch: Mit einer Politik, die unser Land gerechter, friedlicher, demokratischer macht. Wir brauchen eine offene Gesellschaft, in der die Würde aller hier Lebenden ohne Einschränkungen geachtet wird. Die Grundrechte der Einzelnen müssen gestärkt und dürfen nicht abgebaut werden. Es muss solidarisch zugehen, wozu auch gehört, dass aus Flüchtlingen Nachbarn, Kollegen und Sportfreunde werden.   Wagenknecht: Jedenfalls nicht mit noch mehr Krieg. Wenn ich höre, dass es sogar Pläne für einen Kampfeinsatz der Bundeswehr in Syrien geben soll, fasse ich mir an den Kopf. Niemand braucht ein zweites Afghanistan. Im Gegenteil: Die Opfer der schrecklichen Anschläge von Paris mahnen uns, den Kreislauf aus Krieg und Terrorismus zu durchbrechen. Die Kriegs- und Regime-Change-Politik unter Führung der USA hat ganze Gesellschaften zerstört. Auf diesem Nährboden sind der „Islamische Staat“ und andere Terrorgruppen entstanden. Diese verlogene Politik muss endlich beendet werden.   Frau Wagenknecht, jahrelang stand die Banken- und Finanzkrise im Fokus, derzeit wird kaum darüber diskutiert. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?   Wagenknecht: Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, hat mit sehr, sehr viel Geld die bestehenden Probleme überdeckt. Aber sie sind nicht weg. Die europäischen Banken haben nach wie vor faule Papiere im Wert von rund 1.000 Milliarden Euro in ihren Bilanzen, und wir haben jetzt eine riesige Blase auf den Finanzmärkten, weil die Zentralbanken da Milliarden reinpumpen. Unsere Forderung ist seit Langem, dass das Geld der Europäischen Zentralbank nicht mehr an den Finanzmärkten verschleudert wird, sondern zur Finanzierung eines europäischen Investitionsprogramms verwendet wird, um tatsächlich die Wirtschaft zu stärken.   Herr Bartsch, häufig hat man das Gefühl, DIE LINKE überzeichnet die Verhältnisse negativ …   Bartsch: Ich bin der Letzte, der alles schwarzmalt. Aber die Frage ist doch: Wie entwickeln sich Einkommen und Vermögen und deren Verteilung in der Gesellschaft? Die Entwicklung ist inakzeptabel. Die 500 reichsten Familien in Deutschland besitzen 615 Milliarden Euro. Gleichzeitig leben zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Armut, wächst auch die Altersarmut. Unsere Aufgabe ist es, diese ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung zu verändern. Diese Frage ist zentral – nicht nur für Deutschland. Es geht um Europa und die Welt. Auf diesem Planeten besitzen 85 Milliardäre gemeinsam mehr als die Hälfte dessen, was die Weltbevölkerung besitzt. Es müsste niemand verhungern, wenn wir global eine andere Reichtumsverteilung hätten. Das aber geht nur mit einem anderen System, einer anderen gesellschaftlichen Ordnung.    Wie schätzen Sie die Chancen für einen Politikwechsel ein, beispielsweise bei der nächsten Bundestagswahl?   Wagenknecht: Dazu braucht es zunächst auch jenseits von DIE LINKE Parteien, die wollen. Da fängt das Problem an. Wenn die SPD mit Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat antritt, der die Vermögenssteuer für nicht mehr zeitgemäß hält, TTIP toll findet und bei Niedrigrenten keinen Handlungsbedarf sieht, ist es schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Insofern ist es wahrscheinlicher, dass wir wieder in der Opposition sein werden. Aber auch aus der Opposition kann man manches verändern, wenn uns das Wahlergebnis deutlich den Rücken stärkt.   Bartsch: Für uns ist klar: Je stärker DIE LINKE wird, desto größer ist die Chance auf einen Wechsel in der Politik.    Das Interview führten Ruben Lehnert und Benjamin Wuttke.