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Stalking ist kein Kavaliersdelikt

erschienen in Lotta, Ausgabe 12,

Etwa 15 Prozent der Bevölkerung sind einmal in ihrem Leben von Stalking betroffen. Wie können die Opfer geschützt werden? Antworten von Halina Wawzyniak.

Lange Zeit gehörte der Begriff »Stalking« zur Jagd. Er beschrieb das Anschleichen oder Anpirschen an ein Tier. Seit mehr als zwanzig Jahren ist Stalking aber auch ein Wort, das Forensiker benutzen, wenn ein Mensch von einem anderen Menschen verfolgt und belästigt wird. Die Folgen für die so Verfolgten sind häufig verheerend, manchmal sogar tödlich.

Rund 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland – so fanden Wissenschaftler im vergangenen Jahr heraus – sind mindestens einmal in ihrem Leben von Stalking betroffen. Zwei Drittel der Opfer sind weiblich. Besonders häufig werden Menschen gestalkt, die getrennt, geschieden oder verwitwet sind. In 40 Prozent der Fälle ist der Stalker ein ehemaliger Partner oder eine ehemalige Partnerin oder jemand, mit dem man einige Dates hatte. In 14 Prozent der Fälle werden die Opfer von einem völlig fremden Menschen gestalkt. Zwei Drittel der Täter*innen sind männlich. Diese Zahlen stellen sich in anderen Teilen der Welt ähnlich dar, Stalking ist ein internationaler Tatbestand. Geprägt wurde der Begriff in den USA, nachdem Prominente verfolgt, belästigt oder vom Verfolger getötet worden waren. Seit 2007 ist das Verfolgen und Belästigen von Menschen gegen deren Willen als Tatbestand »Nachstellung« im deutschen Strafgesetzbuch verankert. Im Oktober dieses Jahres wurde im Deutschen Bundestag in erster Lesung der vom Bundesrat beschlossene »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Nachstellungen« debattiert. Die Rufe nach einer Neuregelung waren immer lauter geworden, da viele Stalkingopfer sich nur schwer vor dem Psychoterror schützen konnten. Das Ansinnen, Stalkingbetroffene besser zu schützen, findet ungeteilte Zustimmung.

Nun gibt es das Gewaltschutzgesetz. Es ermöglicht, gerichtlich ein Betretungs-, Näherungs-, Aufenthalts- und Kontaktverbot sowie ein Abstandsgebot anzuordnen. Wenn eine Person vorsätzlich und widerrechtlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person verletzt, kann das Gericht zur Abwendung weiterer Verletzungen Anordnungen erteilen. Beispielweise dass der Stalker oder die Stalkerin es unterlässt, die Wohnung zu betreten, sich im näheren Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder Verbindung zu der Person aufzunehmen. In der Parlamentsdebatte über den besseren Schutz vor Nachstellungen ging es auch um eine Verschärfung des Strafrechts. Darum, ob das die beste aller Lösungen ist und wenn ja, wie eine solche Verschärfung aussehen muss. Das Strafrecht zu verschärfen, sollte immer abgewogen werden: Es ist die letzte und nie die beste aller Möglichkeiten, ein Problem zu lösen. DIE LINKE hatte deshalb in der 16. Wahlperiode mit Verweis auf das Gewaltschutzgesetz die Einführung des Stalkingparagrafen abgelehnt. Heute plädieren wir nicht für dessen Abschaffung, wäre dies doch nur dann sinnvoll, würde das gesamte Strafgesetzbuch entrümpelt, wovon wir weit entfernt sind.

Zu bezweifeln ist jedoch, ob die beschlossene Neuregelung Stalkingopfer wirklich besser schützt. Mit dem nun verabschiedeten Gesetz wurde der Straftatbestand Stalking von einem Erfolgsdelikt in ein sogenanntes Eignungsdelikt umgewandelt. Bei einem Erfolgsdelikt reicht es nicht aus, dass der Täter etwas tut, er macht sich erst strafbar, wenn das Opfer nachweisen kann, dass es in seiner Lebensführung schwer beeinträchtigt ist. Bei einem Eignungsdelikt hingegen muss es nicht mehr zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit kommen. Hier setzt meine Kritik an: Der individuelle Lebensbereich in Form der Handlungs- und Entschließungsfreiheit ist das schützende Rechtsgut. Und der muss nach meinem Dafürhalten tatsächlich beeinträchtigt sein. Ein Nachweis der Beeinträchtigung zum Beispiel durch ein ärztliches Attest oder die Bescheinigung einer Stalkingberatungsstelle sollte dafür genügen. Ich sage auch: Stalkingopfer sollen nicht aus der Wohnung ausziehen oder den Arbeitsplatz wechseln müssen, damit der Straftatbestand als erfüllt gilt. Aber es muss eine Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegen. Um das abzubilden, hätte im existierenden Paragrafen 238 Strafgesetzbuch tatsächlich nur das Wort »schwerwiegend« gestrichen werden.

Halina Wawzyniak ist rechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE