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Spargebiet Hochschule

erschienen in Clara, Ausgabe 6,

Der Zugang zu Bildung hängt mehr vom sozialen Hintergrund als von den eigenen Fähigkeiten ab. Die Abgeordnete Nele Hirsch will, dass sich das ändert.

Die Abgeordnete Nele Hirsch steht vor heruntergelassenem Rollladen. Im Schaufenster des RedRoxx, einem offenen Jugendbüro in Erfurts Stadtmitte, hängen Plakate. Eines ruft zum Hochschulkongress »Thüringen zum Tanzen bringen« auf, ein anderes warnt: »Achtung! Sie befinden sich im Billiglohngebiet Thüringen«. Aus der Cuba-Bar gegenüber dröhnen Nachrichten in die schmale Gasse. Zwei einsame Männer sitzen am Tresen und sehen mehr tot als lebendig aus. Nele Hirsch ist dagegen hellwach. Es ist der 30. Oktober. Halbzeit für die Campus-Tour der bildungspolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Vier Fachhochschulen hat sie in der vergangenen Woche besucht. Sie war in Schmalkalden, Erfurt, Nordhausen und Jena. Nach Jena soll es heute wieder gehen. Zur Friedrich-Schiller-Universität. Morgen ist Reformationstag und danach werden noch die Universitäten in Erfurt und Weimar besucht. Dann ist die Campus-Tour zu Ende.

Die 27-jährige Nele Hirsch sieht aus wie eine Studentin. Wenn sie auf einem Campus am Infostand steht, wird sie wahrscheinlich öfter nach ihrem Studienfach gefragt. Politikwissenschaft, Interkulturelle Wirtschaftskommunikation und Islamwissenschaft könnte sie dann sagen und müsste hinzufügen: »Bin aber fertig mit dem Studium und mache jetzt Politik für Euch im Deutschen Bundestag.« Die Campus-Tour 2007 liegt der gebürtigen Stuttgarterin, die ein Büro und ein Zimmer in Berlin und drei Wahlkreisbüros in Thüringen hat, am Herzen.

Widerstand gegen neo-liberale Bildungspolitik

Im Mai dieses Jahres hatte sich in Frankfurt am Main ein bundesweiter sozialistischer Hochschulverband gegründet: DIE LINKE.SDS, wobei SDS für »Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband« steht. Er macht jenen Hoffnung, die glauben, dass man mit Widerstand etwas gegen neoliberale Bildungspolitik ausrichten kann. Die Hoffnung wächst nicht in den Himmel, denn politische Arbeit an Hochschulen und Universitäten ist echte Kärrnerarbeit geworden. Nicht obwohl, sondern weil die Bedingungen für Studierende hierzulande schlecht sind. Wer studieren will und zugleich sein Leben finanzieren muss, hat kaum Zeit für Politik. Und oft auch keine Lust. »Studiengebühren, Abbau von Studienkapazitäten, verschleppte BaföG-Anpassung haben die Chancenungleichheit verstärkt und versperren vielen jungen Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen den Weg zur Hochschulbildung«, sagt Nele Hirsch. »Immer weniger Studierende haben ausreichend Geld zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts und des Studiums. Rund die Hälfte aller Studierenden lebt in prekären Verhältnissen. Das ist ungerecht und unsozial.« Dazu passt auch die Exzellenzinitiative der Bundesregierung. Nele Hirsch und ihre Mitkämpferinnen und Mitstreiter bei der Campus-Tour erleben in diesen Tagen eine öffentliche Debatte um die Förderung sogenannter Elite-Universitäten. Und wissen, dass geistige Elite nicht werden kann, wer sich mit Nachtarbeit und Verschuldung über die Studienzeit retten muss. Aber soziale Ungerechtigkeit führt nicht gleich zur Auflehnung.

Infos zur BaföG-Novelle
direkt am Tourbus

In der Cuba-Bar ist inzwischen Ruhe im Karton, das RedRoxx lässt den Rollladen hoch. Vor der Tür steht ein weißer VW-Bus, der beladen wird mit der Zeitung »DIE LINKE.Campus«, Plakaten, Flugblättern, Umfragezetteln, Kugelschreibern und einem kleinen Infostand. Auf nach Jena, kalt und feucht schreckt hier niemanden. Auf dem Ernst-Abbe-Campus der Universität, an der rund 20.000 Menschen studieren, herrscht heftiges Treiben. Die Mittagszeit ist für politische Arbeit günstig und ungünstig zugleich. Wer hungrig ist, hat keine Zeit, wer isst, will nicht gestört werden, wer gegessen hat, braucht ein wenig Ruhe. Nele Hirsch und die Landtagsabgeordnete der Linken, Susanne Hennig, verteilen trotzdem unermüdlich Zeitungen und Infomaterial zum Hochschulkongress. Ein kalter Wind fegt über den Campus, alle haben es eilig. Am VW-Bus falten Helfer aus den Wahlkreisbüros der Abgeordneten Zeitungen und Plakate in handliche Größen.

Nele Hirsch und Susanne Hennig erzählen, dass der Aufbau linker Hochschulgruppen nur langsam vorangeht. »Wir müssen Geduld haben«, sagt Susanne und sieht aus, als fiele genau das am schwersten. Nach der Verteilungsaktion auf dem Campus trifft man sich deshalb mit Studierenden, um die Planung für den Kongress noch einmal durchzugehen und zu überlegen, wie man neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter für die SDS-Gruppen gewinnen kann. »Es wäre so nötig und so wichtig«, sagt Nele Hirsch. »Die BaföG-Novelle wird kommen und was sie bietet, wird nicht genügen, um die Verhältnisse zu verbessern, der Kampf gegen Studiengebühren muss weitergehen, durch die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master werden die Freiräume für Studierende und emanzipatorische Wissenschaft immer kleiner. Alle sollen sich möglichst reibungslos den Erfordernissen des Arbeitsmarktes anpassen. Es ist wichtig, sich jetzt und laut zu wehren. Denn was einmal zur Regel geworden ist, lässt sich nur schwer wieder ändern.«

Noch stärker in die
Offensive gehen

In der nachmittäglichen Planungsrunde werden die letzten noch offenen Aufgaben und Vorarbeiten für den Kongress besprochen. Die Frage aller Fragen ist, ob der Kongress, der hier an der Uni stattfindet, auch ausreichend besucht sein wird. Nele Hirsch klappt ihr Notebook auf und tippt alles, was besprochen und geklärt ist, in ein Protokoll. Im Anschluss an die »Kongressrunde« landet man wieder beim Thema Aufbau linker Hochschulgruppen und Vernetzung. »Wir scheinen gerade wieder in einer Zusammenbruchsphase zu sein«, konstatiert einer der Anwesenden etwas resigniert. Nein, im Aufbau sei man, widersprechen andere und beschließen, anders und noch vielfältiger in die Offensive zu gehen. Nach dem Kongress wird man sich zusammensetzen und überlegen, wie Studierende und andere motiviert und eingebunden werden können. »Gründen wir doch eine AG Linke Hochschulpolitik«, schlägt Nele Hirsch vor. »Dann können wir uns in ganz Thüringen vernetzen und viele einbinden. Auch solche, die nicht mehr studieren, aber Bildungspolitik machen wollen.« »Das klingt gut«, murmelt einer und Susanne Hennig lächelt. Na bitte, so kann etwas draus werden. Aus der großen Hoffnung, die da heißt: Offene, soziale, demokratische Hochschulen und solidarische, kritische und emanzipatorische Wissenschaft wollen wir haben. Nele Hirsch fährt den Rechner runter. In elf Tagen findet der Hochschulkongress statt. Vielleicht bringt man dann Thüringen zum Tanzen. Auf jeden Fall aber wird es ein neuer Anfang sein.

Hannah Hoffmann