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SLIME: Die Freigeister des Punk (Langversion)

erschienen in Klar, Ausgabe 32,

SLIME ist eine der Kult-Punkbands. Klar traf Sänger Dirk „Dicken“ Jora und ihren Gitarristen Christian Mevs zum Interview in Hamburg.

In Hamburg begann vor 35 Jahren eure Geschichte. Ihr habt immer gegen Polizeiübergriffe gesungen. Jetzt gibt es hier „Gefahrengebiete“…

Christian: …ich bin erstaunt, dass sich so offene Repression durchsetzt, trotz großen Widerstands in der breiten Bevölkerung. Mitten in Deutschland Gebiete einzurichten, in denen die Bürgerrechte nur eingeschränkt gelten: Da fehlen mir echt die Worte.

Dicken: Ich glaube, die Hamburger Polizei ist besonders, ein Staat im Staate. Egal, wer den Senat bildet: Die ziehen ihr Ding durch. Man muss sich das reintun: Die US-Botschaft gibt deswegen Warnungen an Touristen aus. Das ist Hamburg 2013, nicht Beirut oder Belfast in den Trouble Days. Und warum? Weil fünf Scheiben an Peterwagen kaputt gegangen sind. Den angeblichen zweiten Angriff auf eine Wache, bei dem angeblich einem Bullen der Kiefer gebrochen wurde, hat es nie gegeben. Das ist nachgewiesen. Das war ein Besoffener aus den Vororten.

 

Eure Texte haben für große Kontroversen gesorgt, selbst in linken Kreisen.

Dicken: Das ist ja auch richtig so. Wir wollten nie mit dem Strom schwimmen. Du beweist dich nur als Freigeist, der Eier in der Hose hat, wenn du auch gegen Dinge angehst, die in deiner Szene falsch laufen. Es geht nicht nur um Repressionen, die die bürgerliche Welt bringt. Es geht auch um Repressionen in der eigenen Szene, um Schwarz-Weiß-Denken. Zum Beispiel handelt „Alle gegen alle“ davon.

 

Einige Texte haben zu massivem Ärger geführt: Hausdurchsuchungen, Strafverfahren. Würdet ihr einige Songs heute anders schreiben?

Dicken: Nein. Außer vielleicht den HSV-Song „Block E“. Und selbst das war in der Zeit eben so. Der Lieblingsspruch meines Deutschlehrers war: Man kann Dinge nur im zeitlichen Kontext sehen. Wir haben damals von den Bullen halt jeden Tag auf die Fresse bekommen. Dann singst du natürlich Anti-Bullen-Songs.

Christian: Das stimmt. Aber wir waren damals schon an einem anderen Punkt, als andere Bands. Wir hätten uns auch anders positionieren können. Haben wir aber nicht. Rückblickend war das alles richtig, wie wir das gemacht haben.

 

Ein solcher Text ist „Yankees raus“ über die US-Politik. Was denkt ihr über die allumfassende NSA-Bespitzelung heute?

Dicken: Wundert Dich das? Mich wundert, dass die Leute sich darüber wundern. War doch absehbar.

Christian: Mich wundert eher, dass die Leute sich nicht so sehr wundern, wie sie sich wundern sollten.

Dicken: Man denkt eigentlich: Jetzt muss ein unglaublicher Aufschrei kommen. Den gibt es aber nur, weil Merkels Handy abgehört wurde. Die anderen 80 Millionen Menschen sind scheinbar egal.

 

Fühlt ihr euch bestätigt?

Christian: Wir wollten ja nichts aufdecken. Das war für uns einfach klar.

Dicken: Wounded Knee. Hiroshima, Mỹ Lai, Nicaragua. Die Verbrechen der US-Politik liegen auf dem Tisch. Wo ist die Überraschung? Jede US-Regierung besteht aus Verbrechern, nicht erst seit gestern. Das kann man nicht ignorieren. Der NSA-Skandal ist jetzt bekannt geworden. Aber das ist längst nicht alles, was die an alltäglichem Imperialismus durchziehen. Wir sind gegen die Politik der USA, aber das ist kein Antiamerikanismus. Unser Feind war nie die Latino-Frau im Ghetto in Los Angeles, die versucht, mit drei Jobs ihre achtköpfige Familie durchzubringen.

 

Auf der aktuellen Platte „Sich fügen heißt lügen“ verarbeitet ihr Texte von Erich Mühsam. Der Song „Seenot“ geht um die Finanzkrise. Das ist keine Wut-Nummer, sondern eher künstlerisch. Braucht es heute nicht einen wütenden Song?

Christian: Man kann sich fragen: Sind diese neuen Songs klar genug? Aber unsere Ausdrucksweise ändert sich. Songs wie „Deutschland muss sterben“ haben wir mit 16 oder 17 gemacht. Damals hatten wir die sehr unmittelbare Wut, die man hat, wenn man etwas direkt auf der Straße erlebt. Der heutige Finanzkapitalismus mit seinen extremen Auswirkungen seit dem Jahr 2008 ist komplexer. Trotzdem wird Wut sichtbar, etwa beim gewaltlosen Widerstand in New York oder in Frankfurt.

Dicken: Und es ist ein wütender Song, weil ich ihn ja singe. Deutschland hat den 1. Weltkrieg angezettelt und verloren, den 2. Weltkrieg auch. Den 3. gewinnen wir jetzt wirtschaftlich? Wenn ich sehe, wie Merkel ein Land wie Griechenland behandelt, stinkt das für mich ganz gewaltig danach. Aber Christan hat recht: Die Inhalte unserer Songs haben sich wenig geändert, die Form schon. Das ging ja schon bei „Alle gegen alle“ los, mit „Schweineherbst“ weiter, bei der Platte mit den Mühsam-Texten noch stärker. Es ist ein schmaler Grat. Wir wollen die Wut weiter raus lassen, ohne in Plattitüden zu verfallen.

Christian: „Seenot“ ist schon eine klare Aussage. Mühsams Texte kommen aus einer anderen Zeit, man kann sie aber trotzdem übertragen. „Seenot“ ist ja auch kein Original. Mühsams Fassung ist als Parabel angelegt, aber sehr lang. Wir haben den Text dann eingedampft, offensiv gedeutet und umformuliert auf die aktuelle Entwicklung.

 

Wieso Mühsam? Texte eines anarchistischen Dichters, den die Nazis im KZ ermordet haben: Das erwartet man von einer Punkband nicht.

Dicken: Es hat keiner von uns erwartet, weil es die erste Scheibe nach 15 Jahren war. Ein Album mit Mühsam-Texten ist kommerziell nicht unbedingt die erste Idee. Aber er ist uns nahe. Zum Beispiel, wenn es darum geht, sich in der eigenen Szene gerade zu machen…

Christian: … und politisch zu sein, ohne sich einer bestimmten Bewegung unterzuordnen oder den Menschen und Emotionen unter den Tisch zu kehren.

Dicken: Die Texte sind etwa ab 1905 geschrieben. Aber du kannst sie ohne Verrenkungen auf heute übertragen. Das ist im negativen Sinne faszinierend.

 

Viele Bands beziehen sich auf SLIME. Einige davon sind kommerziell viel erfolgreicher geworden, etwa Die Toten Hosen. Wie findet ihr das?

Christian: Da ist kein Neid. Die Hosen waren immer anderes. Schon Sachen wie „Bommerlunder“ waren viel mehr Pop. Sie wollten von ihrer Musik gut leben, waren keine explizit politische Band. Ich gönne ihnen den Erfolg. Und ich finde das gut, was sie so machen, ihre Wohnzimmerkonzerte, die Nähe zu den Fans.

Dicken: Ein paar Sachen werfe ich Campino schon vor: z.B. BILD am Sonntag ein Interview zu geben, geht gar nicht. Das ist einfach ein riesiger Kübel Jauche auf Papier gedruckt. Unser Verhältnis ist aber so gut, dass ich ihm das gesagt habe. Er meinte: „Du weißt doch, ich bin halt eine Medienrampensau.“ Er eiert nicht rum. Das ist für mich in Ordnung. Vor einiger Zeit haben sie uns eingeladen, für sie in Bremen zu eröffnen.

Christian: Vor diesem Auftritt habe ich mir ihr Konzert in Berlin angesehen. Da habe ich mich gefragt, ob von den 15.000 Leuten gar nicht wenige neben Hosen-CDs auch welche von Frei.Wild oder den Onkelz im Regal haben, weil sie halt Deutschrock gut finden. Reicht es da wirklich, wenn Campino im Konzert „Nazis raus“ schreit und das Publikum mit grölt? Wie viele machen das nicht, weil sie den Inhalt so fühlen, sondern es geil ist, was mit zuschreien? Ich frage mich schon, ob da nicht ein deutlicheres Statement von Nöten wäre.

 

Das Interview führte Niels Holger Schmidt