Zum Hauptinhalt springen

Selektiv und unlogisch

Von Gregor Gysi, erschienen in Clara, Ausgabe 21,

Hinter der Bildungspolitik der Regierung steht das Prinzip der Verantwortungslosigkeit. Das deutsche Bildungssystem ist unterfinanziert und selektiert sozial. Aber: Es geht auch anders. Ein Essay von Gregor Gysi

Konservativen Bildungspolitikern täte ein wenig Logik gut. Ihre Thesen stehen in krassem Widerspruch zueinander. Ihre erste These: Der Arbeitsmarkt muss flexibilisiert werden. Die zweite These: 16 unterschiedliche Schulsysteme sind der Königsweg in der bundesdeutschen Bildungspolitik. Den offensichtlichen Widerspruch müssen junge Eltern ausbaden: Sie müssen sich verantwortungslos gegenüber ihren Kindern verhalten. Wenn sie etwa auf Jobsuche das Bundesland und damit auch das Bildungssystem wechseln, muss unter Umständen die Tochter vom Gymnasium zurück in die Grundschule oder umgekehrt. Verantwortungslosigkeit als Prinzip.

Damit nicht genug. Die Zukunft unserer Kinder ist den Regierenden auch finanziell wenig wert. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung folgend fehlen im Bildungssystem jährlich 37 Milliarden Euro. Es fehlen 14 Milliarden Euro im Kita-Bereich, bei den Schulen 5 Milliarden Euro, den Hochschulen 9 Milliarden Euro, der Weiterbildung 9 Milliarden Euro.

Die einzelnen Bundesländer gehen zum Teil groteske Schritte, um Kosten zu senken. So werden in Baden-Württemberg nicht mehr benötigte Telekom-Beamte in einer zweijährigen Schnellumschulung zu »Fachlehrern« gemacht. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in Niedersachsen werden nicht fest angestellt, sondern als Honorarkräfte beschäftigt: illegal, denn es werden keine Sozialabgaben bezahlt; die Staatsanwaltschaft ermittelt – in 24000 Fällen. In Bremen sind über die Hälfte bestimmter pädagogischer Kräfte in Leiharbeitsverhältnissen beschäftigt, darunter auch Minijobs. Schülerinnen und Schüler können so kaum individuell unterstützt werden.

Das Bildungssystem der Bundesrepublik selektiert wie kaum ein anderes auf der Welt. In Deutschland hängt der Bildungserfolg eines Kindes auf erschütternde Weise vom Geldbeutel der Eltern, von seiner sozialen, ethnischen und geografischen Herkunft ab. Die Bertelsmann-Stiftung ist beim Vergleich der OECD-Länder zu dem Schluss gekommen, dass es mittlerweile selbst in den USA für Arbeiterkinder leichter ist zu studieren als bei uns. Das war schon mal anders.

Es gibt Alternativen, für die DIE LINKE steht. Dabei geht es um Chancengleichheit in der Bildung, um einen verantwortungsvollen Umgang mit Kindern und Eltern genauso wie um eine auskömmliche Finanzierung des Bildungssystems.

Bildung muss wieder eine gesamtstaatliche Aufgabe sein und durch Bund, Länder und Kommunen gemeinsam finanziert werden. Besonders aus dem Bundeshaushalt muss deutlich mehr Geld in die Bildung fließen. Ein zweiter Schritt müssen gemeinsame Vereinbarungen und Bildungsstandards sein, die bundesweit gelten, die eine Verbindlichkeit für Familien schaffen. In einem Land 16 verschiedene Schulsysteme – das gehört ins 19. Jahrhundert, in die Zeit der Postkutschen.

Das Wichtigste aber ist Chancengleichheit. Wir brauchen ein Top-Bildungssystem für das erste Kind des Professors ebenso wie für das dritte Kind der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin. Unsere Antwort ist die Gemeinschaftsschule als Ort, an dem auch sozial gelernt wird, an dem die Begabung eines jeden Kindes gefördert wird, genauso wie Schwächen individuell angegangen werden können und die Stärkeren die Schwachen stützen. In Berlin ist die Einführung gelungen. Warum? Weil die Menschen mitgenommen wurden. Das Markenzeichen linker Bildungspolitik ist aus meiner Sicht die Einbeziehung der Betroffenen, während die anderen Parteien Jahr für Jahr Verschlimmbesserungen des jetzigen Systems jedes Mal gegen massive Proteste durchsetzen.

Dem Prinzip Verantwortungslosigkeit setzen wir Konzepte entgegen, die mit den Menschen entstehen, die auf Chancengleichheit setzen und damit für wesentlich mehr Kinder Zukunft schaffen.