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Regierung benachteiligt Mütter

Von Matthias W. Birkwald, erschienen in Klar, Ausgabe 37,

Wer sehr lange in die Rentenversicherung eingezahlt hat, kann ab 63 Jahren in Rente gehen – ohne Abschläge. Doch viele berufstätige Mütter erleben dann eine böse Überraschung.

Seit knapp eineinhalb Jahren können besonders langjährig Versicherte in die Rente ab 63 Jahren gehen – und zwar ohne Abschläge. Voraussetzung: Es wurden 45 Jahre lang Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt. Christel Blankenhagen, Grundschullehrerin in Thale, Sachsen-Anhalt, wollte das neue Gesetz nutzen. Die geforderten 540 Beitragsmonate hatte sie zusammen. Dachte sie jedenfalls.    Christel Blankenhagen war nie arbeitslos, sie hatte zwei Kinder geboren und großgezogen und war stets nach den gesetzlich verordneten Mutterschutzzeiten in den Schuldienst zurückgekehrt. Trotzdem sollte sie einen Monat länger für ihre abschlagsfreie Rente arbeiten. Einen Monat länger als Männer mit vergleichbaren Arbeitsbiografien.   Der Grund dafür ging aus dem Rentenbescheid nicht hervor. Martin Blankenhagen, ihr Ehemann und als Ingenieur jeglichen Zahlensalats mächtig, nahm deshalb die Rentenauskunft seiner Frau Posten für Posten auseinander und entschlüsselte die fehlenden vier Wochen als Mutterschutzzeit. Auf persönliche Nachfrage wurde ihm das durch die Rentenberaterin bestätigt. Fällt der Geburtstermin eines Kindes in das erste Drittel eines Monats, zahlt die Krankenkasse für den vorhergehenden Monat Mutterschutz zwar ein Entgelt, aber es fließt kein einziger Cent in die Rentenversicherung. Wie viele Frauen davon betroffen sind, weiß niemand genau. Häufig wissen es nicht einmal die Frauen selbst, weil der Rentenversicherer diese Begründung nicht ausweist.    Für den Rentenexperten der Fraktion DIE LINKE, Matthias W. Birkwald, ist das ein Skandal. Denn für die 45 geforderten Beitragsjahre wird fast alles angerechnet: Pflichtbeiträge aus Minijobs und selbstständiger Arbeit, Wehr- und Zivildienstzeiten, Teilarbeitslosengeld, Krankengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Insolvenzgeld und vieles mehr. Doch ausgerechnet der Mutterschutz wird nicht angerechnet. Birkwald forderte, den Mutterschutz als Wartezeit anzurechnen.    Ende September fand dazu im Parlament ein Schlagabtausch statt. Matthias Zimmer (CDU) sagte, er habe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales nachgefragt, „denen sei kein einziger Fall bekannt“, und die Rentenversicherungen hätten „ebenfalls keine Kenntnis“. Das Problem der Rentenungleichbehandlung sei somit „ein theoretisches, von der LINKEN aufgeblasen“. Der Gesetzentwurf sei deshalb auch abzulehnen.    Das taten CDU/CSU und SPD dann auch mit ihrer Mehrheit im Bundestag. Bündnis 90/Grüne und DIE LINKE votierten für die Frauen. Matthias W. Birkwald hatte zur Parlamentsdebatte neben Christel Blankenhagen weitere betroffene Frauen eingeladen. Das Angebot, mit ihnen zu reden, nahmen die Abgeordneten der Regierungskoalition nicht wahr.