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Ohne Mindestlohn ist Deutschland im Eimer

erschienen in Querblick, Ausgabe 12,

Was hat dazu geführt, den Job einer Betriebsrätin bei Lidl zu übernehmen?
Nach einer Odyssee stand ich vor der Entscheidung: Entweder ich höre jetzt auf und ergebe mich dem Schicksal, nichts mehr zu sagen und nicht mehr zu denken. Oder ich kämpfe. Ich bin aufgestanden und habe mich für den Kampf entschieden.

Was war bis zu diesem Zeitpunkt passiert?
Bei Lidl hat man mich offen gesagt »verarscht«. Erst sollte ich Filialleiterin werden, dann die nächste Verkaufsleiterin. Dann hieß es, Sie sind zu alt. Aber die Filialleiterin war auch älter als 40 Jahre. Plötzlich wurde gesagt, sie habe geklaut, und sie wurde entlassen. Stunden über Stunden habe ich gearbeitet und mich körperlich total überfordert, fast keinen Schlaf mehr gefunden. Lieber Tabletten nehmen als sich krankschreiben lassen … Dann wurde sehr viel gemobbt, weil wir einen Betriebsrat gewählt hatten.

Wie lange haben Sie das ausgehalten?
Bis ich zusammengebrochen bin. Ich war nach einem Bandscheibenvorfall vier Monate krank. »Wer sind Sie denn?«, fragte ein junger Mann, als ich wieder zur Arbeit erschien. »Die Filialleiterin«, antwortete ich. »Nein, ich bin der Filialleiter«, sagte er und dass er schon zwei Monate lang den Job habe. Ich dachte, mich trifft der Schlag.

Was passierte dann?
Man schickte mich in eine andere Filiale. Ich schwieg, bin täglich 50 Kilometer gefahren, dann wieder in eine andere Filiale, vier Monate ging das. Überall wurde ich behandelt wie ein Depp – als Abpackhilfe oder als Putzfrau. Ich habe meinen alten Arbeitsvertrag gefordert und wurde in Bamberg Filialleiterin. Dort waren die Arbeitsbedingungen noch tausend Mal schlimmer als bislang.

Wie sah denn der Alltag aus?
Tägliche Kontrollen und Überstunden ohne Ende. Es  durfte nichts aufgeschrieben werden. Ständig wurde man verdächtigt, Pfand oder irgendetwas anderes manipuliert oder gestohlen zu haben. Dann gab es Leibesvisitationen durch Verkaufsleiter und andere Schikanen.

Wann kam die Idee, einen Betriebsrat zu gründen?
Kurz darauf. Ich habe mit den Kolleginnen gesprochen und denen nahegebracht, dass das eigentlich so nicht sein darf und auch nicht kann. Viele kannten ihre Rechte gar nicht. Wir haben dann eine geheime Sitzung abgehalten. Die Frauen waren vorsichtig und ängstlich. Das ist eben die Strategie der Unternehmen, egal, ob es LIDL, Kik oder andere sind. Man will nicht, dass untereinander ein gutes Klima herrscht, ein Vertrauensverhältnis. Nur so wird klar: Die Verkäuferin neben dir hat die gleichen Probleme wie du, und sie ärgert sich über dasselbe wie du. Aber sie traut sich nicht, es dir zu sagen, weil sie nicht weiß, ob du der Feind, ein Spitzel oder eine Freundin bist.

Was erwarten Sie von der Politik, insbesondere von den LINKEN, bei denen Sie Gast einer Betriebsrätekonferenz waren?
Dass den Unternehmern auf die Finger geschaut wird. Die können machen, was sie wol-len. Gliedern aus, strukturieren um. Da haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kaum noch Rechte. Irrsinn, wenn die FDP fordert, bei weniger als 20 Beschäftigten sollte es keine Betriebsräte mehr geben. Sind wir denn Leibeigene? Sklaven sind verboten, dachte ich, bevor ich beim Discounter angefangen habe. Ich erwarte von der Politik, dass sie für die Menschen akzeptable Lebensbedingungen schafft und nicht nur den Raffkes den Weg ebnet. Und dann muss der Mindestlohn her, sonst ist Deutschland im Eimer.
Interview: Frank Schwarz