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»Ohne die anderen geht es nicht«

erschienen in Clara, Ausgabe 6,

Hans Meyer übernahm als jüngster Trainer der DDR-Oberliga den FC Carl Zeiss Jena. Nach der Wende brachte er Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC wieder in die Bundesliga. 2007 verdankte ihm der 1. FC Nürnberg den DFB-Pokalsieg.

Fußball ist die »Volkssportart« Nr. 1 in Deutschland. Warum fasziniert gerade dieser Sport so viele Erwachsene
und Kinder?

Ich glaube, dass es in der einfachen Struktur des Spiels liegt. Wenn zwei oder drei Mann zusammen sind und etwas Rundes zu bearbeiten haben, können
sie an jeder Ecke Fußball spielen. Es ist relativ leicht und simpel, diese Sportart auszuüben. Zu dieser einfachen Form und den einfachen Regeln kommt dazu, dass Fußball im Gegensatz zu fast allen anderen Sportarten so gar nicht vorausberechenbar ist. Ständig passieren Dinge, die man so nicht einplant und die den Erwartungen nicht entsprechen. Das bringt natürlich Spannung. Hinzu kommt, dass Fußball Massen begeistert. Gehen sie mal in ein vollbesetztes Stadion. Ohne dass sie mit dem Fußball etwas zu tun haben müssen, werden sie beeindruckt sein von dieser herrlichen Atmosphäre. Das trägt sicher auch zur Faszination des Fußballs bei.

Sie sind mit Fußball groß geworden, welche Bedeutung hat dieser Sport für Ihren Lebensweg?

Ich sage meinen Spielern immer:
An erster Stelle kommt die Familie und
an zweiter Stelle eigentlich die Familie
und an dritter Stelle die Familie.
Und dann, unmittelbar danach, sollte
der Beruf kommen. Denn der Beruf ist
für jeden Menschen die Basis, um sehr
viel verwirklichen zu können. Die Familie hat über Jahrzehnte immer eine zentrale Stellung in meinem Leben eingenommen. Aber unmittelbar danach kam mein Beruf, der mir von Anfang an Spaß gemacht hat. Ich habe sehr viele Menschen kennen-gelernt, Spieler, Mitarbeiter und viele andere, zu denen ich noch immer
Kontakt habe. Dieser Beruf - ich bin
jetzt fast 36 Jahre Fußballtrainer - hat mein Leben richtig vereinnahmt. Man kommt zu Hause am Wochenende oder
im Urlaub ganz schwer davon weg.
Das geht natürlich immer auf Kosten dessen, was man auch im Allgemeinen
als »Leben« bezeichnet. Manchmal hat mich dieser Beruf bestimmt ein wenig zu sehr vereinnahmt. Fußball war eben
neben meiner Familie das Wichtigste
in meinem Leben.

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in Ihrer Sportart für Kinder und Jugendliche?

Der Fußball an sich ist natürlich fantastisch dazu geeignet, die Interessen der Kinder und Jugendlichen zu bündeln und sie auch von der Straße und vom Computer weg-
zuholen. Das ist für mich etwas ganz Wesentliches. Wir merken ja - ich denke
da nur an die letzten PISA-Studien und andere Untersuchungen -, wie kompliziert es ist, den Kindern und Jugendlichen etwas in die Hand zu geben, woran sie sich richtig festhalten können. Da ist Sport eine fantastische Möglichkeit, Kinder zu motivieren und ihnen eine Beschäftigung
in der Freizeit zu geben. So wie die Freizeit momentan genutzt wird - nun will ich nicht den Uropa spielen -, habe ich wirklich Angst, wo das hingeht mit dieser ganzen Technik. Das hat in der Regel nichts mehr mit Bewegung zu tun. Ich denke, uns und
den Kindern geht dadurch auch ein Stück Lebensqualität verloren. Und da ist der Sport immer noch eine richtig gute
Möglichkeit, der Fußball sowieso, diese Jungs von der Straße zu holen und sie trainieren zu lassen. Fußball hat neben dem Leistungsgedanken, mit den Clubs Geld reinzuholen und Deutscher Meister zu werden, natürlich noch eine ganz wichtige, nämlich eine soziale Funktion.

Sie sprechen die soziale, die integrative Funktion des Fußballs und des Sports an. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Wenn man mit einem 34-Jährigen spricht, der in der Kreisliga B Fußball gespielt hat, wird er sagen, wie viel Spaß und Freude
er mit seinen Jungs, seinen Arbeitskollegen, seinen Sportkameraden hatte, als sie über die Dörfer gefahren sind. Diese Jungs erinnern sich unheimlich gern an das Gemeinsame, an das Erfolgserlebnis,
aber auch an die Auseinandersetzungen. Fußball ist eben eine Teamsportart.
Da merkt man, dass es ohne die anderen nicht geht. Das sind wesentliche Dinge, die für die Entwicklung des Einzelnen wichtig sind. Deshalb betonen wir als Trainer immer die Teamarbeit. Das ist doch ganz einfach: Erziehung im Team heißt, zu wissen, dass ich auf der einen Seite da sein muss, aber auf der anderen Seite auch akzeptieren muss, was die anderen tun, sagen und bewirken. Das sind ganz wesentliche Dinge, die man in einer Fußballmannschaft bei klein und groß ähnlich wiedererkennt.

Sie sind Bundesliga-Trainer des
1. FC Nürnberg, einer in der vergangenen Saison sehr erfolgreichen Mannschaft. Bleibt Ihnen da noch Zeit, sich auch sozial zu engagieren?

Ich habe ein-, zweimal im Monat Termine
in Fußballschulen mit einer kleinen
Diskussionsrunde oder gebe mal eine Autogrammstunde. Wir gehen auch ab
und zu in Schulen, in denen es eine besondere Fußballbegeisterung gibt, oder
in Schulen mit Körperbehinderten oder Blinden. Das findet natürlich regelmäßig statt. Aber ich engagiere mich derzeit
nicht in einer Organisation oder fördere bestimmte Projekte finanziell. Menschen, die dort für Kinder aktiv sind - das muss nicht im Fußball sein -, werde ich immer sehr positiv gegenüberstehen. Aber ich selbst kann mich um so etwas momentan nicht persönlich kümmern. Ganz ehrlich,
da denke ich an meine acht Enkel, die von meiner Zeit auch ein wenig profitieren sollten. Meine acht Enkel, das ist meine Kinder- und Jugendförderung.

Beeinflusst die Politik Ihre Arbeit
als Trainer?

Ja, natürlich. Wenn ich mitbekomme,
was beim Nachwuchs im Kinder- und Jugendbereich an Problemen existiert,
nur aus der Tatsache heraus, dass dort sehr aufs Ehrenamt und auf Freiwilligkeit, auch auf »Freizeitopferung« gesetzt werden muss, dann ist das natürlich alles andere
als optimal.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Ich bin nicht in der Lage, zu überschauen, welche Möglichkeiten es in der Breite
alles gäbe. Aber ich denke, dass gerade im Breitensport eine ganze Menge im Argen liegt. Es müsste meiner Meinung nach gefördert werden, dass die vielen Freiwilligen, von denen ich gerade sprach, entsprechende Aus- und Fortbildungen bekommen. Die Freizeit, die sie investieren, müsste wenigstens ein bisschen entlohnt werden. Ich weiß aber nicht, ob das in dieser Gesellschaft momentan nicht eine unbillige Forderung ist, weil ja mit den Haushaltsgeldern in einer unglaublichen
Art und Weise gespart werden muss. Meiner Meinung nach geschieht das teilweise auch an der falschen Stelle. Das betrifft nicht
nur den Sport, sondern auch den kulturellen Bereich. Was wollen wir uns da im Profisport beklagen? Durch die herrliche Popularität und die unglaublichen Gelder
im Hochleistungsbereich kommt im Fußball doch immer noch ein ganz kleines bisschen unten an. Ob es gesamtgesellschaftlich
zu packen ist, eine Breitenförderung durchzusetzen - also die Breite fördern,
um die Spitze zu bekommen -, das wage
ich eher zu bezweifeln.

Im September hat sich der Fußballverein unserer Fraktion, »Rote Socken«, gegründet. Hätten Sie Lust und Zeit diese Truppe zu trainieren?

Wenn Gysi Mittelstürmer ist, bin ich dabei. Aber erst wenn ich mich vom Profisport verabschiedet habe.

Das Gespräch führte Katja Herzberg