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Niemand kann sagen, er habe es nicht gewusst

erschienen in Clara, Ausgabe 2,

Martina Bunge über ihre Arbeit als Vorsitzende des Gesundheitsausschusses

Als Ausschussvorsitzende bist du die Chefin, politisch gehörst du zur Minderheit. Wie geht das zusammen?

Es geht zusammen. Wenn nicht, wäre die Parlamentsarbeit der Opposition generell in Frage zu stellen. Während ich eine Sitzung leite, bin ich zur Neutralität verpflichtet. Aber die Geschäftsordnung bietet verschiedene Spielräume. Die will ich ausreizen.

Ein Beispiel?

Im Normalfall befasst sich der Ausschuss mit Entwürfen der Fraktionen oder der Bundesregierung. Bei aller Sacharbeit läuft das meist so: Bei einem Entwurf der Koalition hält die Opposition dagegen, bei einem Entwurf aus der Opposition die Koalition… Die Geschäftsordnung lässt zu, auch über Themen zu reden, zu denen es keine Vorlage gibt. Als ich das praktizieren wollte, hieß es erst, das haben wir noch nie gemacht. Inzwischen hatten wir eine so genannte Selbstbefassung zur Lage der Ärztinnen und Ärzte in den neuen Bundesländern.

Mit welchem Resultat?

Das Verständnis für dieses Problem ist erst einmal da. Ich setze nun nicht nur auf Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten, sondern auch auf einen West-Kollegen aus der Unionsfraktion. Er hat viele Kontakte in meine Region, ist Arzt und ich denke, er möchte mir das Feld nicht allein überlassen.

Manche Ergebnisse stellen sich auf Umwegen ein ...

So ist es. Da kann ich traurig sein, wenn nicht alle Welt erfährt, dass wir daran beteiligt sind. Ich kann aber auch froh sein, dass etwas erreicht wurde.

Wie ist dir zumute, wenn du die Beschlussempfehlungen des Ausschusses unterzeichnest?

Die Beschlussempfehlung, wie der Name sagt, empfiehlt dem Bundestag, einen Entwurf anzunehmen oder abzulehnen. Für die Entwürfe der Koalition wird es immer die Empfehlung zur Annahme, für die der Opposition immer die zur Ablehnung geben. Bei ersteren sage ich mir, ich signiere hier den ordnungsgemäßen Verlauf. Meine politische Haltung habe ich bei der Abstimmung deutlich gemacht. Bei Entwürfen aus der eigenen Fraktion tut es schon weh, dass sie keine Chance hatten.

Wie kannst du dich im Ausschuss als Mitglied der Linksfraktion äußern?

Für diese Zeit nimmt mein Stellvertreter meinen Platz ein. Das ist auch notwendig, wenn ich bei einer Anhörung eine Frage stellen möchte.

Und wenn du im Land unterwegs bist?

Wenn ich als Ausschussvorsitzende eingeladen bin, erläutere ich - zum Beispiel bei der Gesundheitsreform - mit gebotener Sachlichkeit den Stand der Dinge. Vorher kläre ich immer, ob ich meine politische Position anfügen kann. Da habe ich bisher nirgends ein Nein gehört. In anschließenden Diskussionen geht es meist um diese Positionen. Ob Organisationen von Betroffenen, wie die AIDS-Hilfe, oder Verbände der Ärzteschaft und Gremien der Krankenversicherungen - sie wollen wissen, wie wir die Dinge beurteilen und welche Vorschläge wir haben. Es gibt großes Interesse für unsere Alternativen zur Finanzierung und zu den Strukturen des Gesundheitswesens.

Die Gesundheitsreform steht enorm unter Kritik. Kommt da Genugtuung auf?

Schon. Aber größer ist die Enttäuschung über den Murks, mit dem die große Koalition am Wählerwillen vorbei regiert. Auch über den Werdegang bin ich entsetzt. Monatelang mussten die Abgeordneten von Informationen aus den Medien »leben«. Das Parlament wurde entmündigt. Kein Wunder, wenn die Menschen an der Demokratie zweifeln. Als der Entwurf endlich vorlag, sollte es hopp, hopp gehen. Dass es wenigstens ausführliche Anhörungen gab - 26 Stunden insgesamt - ist der Opposition zu danken. Nun kann kein Abgeordneter der Regierungsfraktionen mehr sagen, er habe nicht gewusst, wofür er stimmt.

Wird die Reform am 1. April in Kraft treten?

Die Kanzlerin kann kaum zurück. Generell möchte ich im Prozess der Ausschussarbeit Veränderungen an den Entwürfen erreichen. Aber die grundlegenden Mängel, wie noch mehr Privatisierung und neue Ungerechtigkeiten, sind nicht wegzubekommen.

Wann kommt die nächste Gesundheitsreform?

Spätestens nach der nächsten Wahl. Doch vieles ist nur schwer oder gar nicht zurückzuholen.

Das Gespräch führte Brigitte Holm.

Der Gesundheitsausschuss ist einer von_22 ständigen Ausschüssen des Bundestages. Ihm gehören 31 Mitglieder an: je 11 aus den beiden Regierungsfraktionen und je drei aus den Fraktionen von FDP, DIE LINKE. und Bündnis90/Die Grünen.