Zum Hauptinhalt springen

Natürlich Landwirtschaft

erschienen in Clara, Ausgabe 19,

Von Puten, Rindviechern und einer Wunderknolle oder wie aus einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft eine Öko-Landwirtschaft wurde.

Der Kalender hält den ersten Frühlingstag fest. Die Märzsonne strahlt wie bestellt am Himmel. Doch die kalten Temperaturen im Mecklenburgischen vertreibt sie noch nicht. Es sind nur wenige Grad über null, und das fast Ende März, eine Zeit, in der die Bauern in den Startlöchern stehen und mit der Frühjahrsbestellung anfangen wollen.


Joachim Gawlik und Jörg Geistlinger auch. Ihnen gehören die Agrar GmbH Lärz-Krümmel und die Gaarzer Naturrinder GmbH, ein Gemischtbetrieb am Rande des Müritzer Nationalparks. Etwa 800 Hektar Ackerfläche und Dauergrünland nutzen die beiden Landwirte, der eine 53, der andere 45 Jahre alt.


Die beiden wettergegerbten Männer stammen von hier, und Ackerbau und Viehzucht, das haben sie von der Pike auf gelernt. Was sie nicht gelernt hatten, war das Lenken und Leiten eines Öko-Betriebes in der Marktwirtschaft. „Ökologisch wirtschaften, nach Naturrichtlinien, das war nicht geplant, hat sich ergeben, war ein Prozess“, erzählt Geschäftsführer Gawlik.


Mecklenburger, das weiß man, reden nicht viel, und so fällt der Blick 15 Jahre zurück kurz und schnörkellos aus. „Mitte der 1990er Jahre sind wir eingestiegen. Mit keinem einzigen Pfennig auf der hohen Kante. Dafür aber mit über 200 Verträgen unserer ehemaligen Kollegen der früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft.“ Genossenschaftler, die, als „alles den Bach runterging“, ausgezahlt werden wollten. Das heißt, „eigentlich wollten alle gern weiterarbeiten. Aber eben keiner mit persönlichem Risiko“, sagt Gawlik. Was blieb, war die Verschuldung. Beide Männer, nun plötzlich Geschäftsführer einer neu gegründeten GmbH, nahmen private Darlehen in Millionenhöhe auf, für Hof, Ställe, Ackerland, Wiesen und Wald.
 

Naturburschen und Naturrinder


Trotz der mäßigen Temperaturen stehen samtbraune und gemütlich dreinschauende Rinder auf der Weide. Naturrinder, deren Züchtung bereits Dokumente aus dem 17. Jahrhundert belegen. „Aber sie sind viel älter“, erzählt Jörg Geistlinger. Ihr Name – französisch – Aubrac. Auf dem Plateau Aubrac in 1350 Metern Höhe errichteten Mönche ein Kloster. Für die karge Gegend mussten die Tiere zäh sein, eine gute Arbeitsleistung, reichlich Milch und Fleisch für die Eigenversorgung liefern.


Saftiges Fleisch, viel Milch, gesunde Kälber, das zeichnet die Aubracs bis heute aus. 450 Tiere zählt die Herde der Naturrinder GmbH. Gut die Hälfte Kühe, der Rest Kälber, einige Bullen zur Zucht. „Diese jahrhundertealte Rinderrasse passt zu uns und hierher“, schmunzelt Geistlinger. „Sie haben ein besonders ruhiges Temperament, mögen die Nähe von Menschen, sind robust, anspruchslos und bei jedem Wetter draußen.“


Nach draußen wagen sich auch die ersten Puten in Lärz-Krümmel, wenn auch noch etwas bedachtsam. Zu kühl ist der Morgen. Gawlik und Geistlinger halten Puten alten Schlages: Big 6, eine Rasse mit Tradition. Etwa 10 000 Puten, verteilt auf fünf Standorte, leben in neu erbauten Anlagen und in Bodenhaltung mit jeweils reichlich Platz und Auslauf drinnen und draußen. Hipp, der bekannte Babynahrungshersteller, ist einer der Putenfleisch-Abnehmer. Gleich in der Nachbarschaft gackern Hühner und picken frisches Grün von den Wiesen. Das Federvieh gehört zu einem Legehennenbetrieb, mit dem die GmbH Lärz-Krümmel in Kooperation arbeitet. Sie haben das Land an ökologisch wirtschaftende Geflügelbauern verpachtet, liefern das Futter und erhalten im Gegenzug den Mist aus den Ställen. Der wiederum landet dort, wo er dem Boden guttut, auf den Feldern der Agrargesellschaft. Ein gesunder Kreislauf.


Siebsand und Wunderknollen


„Ach ja, der Boden! Der hat es leider nicht in sich“, sagen die beiden Landwirte. Er sei „siebfähiger Sand“, hält kaum Wasser, nur 30 bis 40 Liter pro Kubikmeter. Zum Vergleich: In der Magdeburger Börde verbleiben etwa 250 Liter pro Kubikmeter. Weizen wächst darum kaum im Lärz-Krümmel-Land. Winterroggen schon, auch Sommergerste. Hafer, Mais, Lupinen, alte Kartoffelsorten mit so schönen Namen wie Linda, Princess oder Nicola. Auch Sonnenblumen, Hanf und Triticale werden angebaut. Letzteres ist eine Getreideart, gezüchtet aus Weizen und Roggen, ideal geeignet als Futtergetreide. Eine Futterpflanze, darüber hinaus auch eine Heil- und Wunderpflanze, ist der Topinambur. Mit ihm kann man gesund abnehmen, er steckt voller Vitamine und Mineralien, reguliert auf natürliche Weise den Blutzuckerspiegel und schmeckt auch noch. Das Problem: „Topinambur ist eine vergessene Pflanze“, erläutert Gawlik. Das mache die Vermarktung im Moment noch schwierig.


Der Bio-Betrieb hat sich Schritt für Schritt entwickelt. „Immer so, wie wir konnten“, sagt Jörg Geistlinger. In den Tieranlagen und auf den Feldern sind inzwischen ganzjährig 23 Mitarbeiter beschäftigt. Das Futter, das Heu, das Stroh, das eigene Saatgut kommen von den eigenen Feldern. Die Kartoffeln werden gleich vor Ort verarbeitet. Die Tiere liefern sie an einen Bio-Zerlegehof bei Bremen. Eine eigene Hofschlachterei steht ganz oben auf der Wunschliste der Agrargesellschaft. Die aber kostet, bedeutet hohe Auflagen und Standards. Die Investition bräuchte zudem Partner und rentiert sich nur mit einer Vermarktung gleich auf dem Hof.
 

Zu den aktuellen Abnehmern gehören neben regionalen Käufern und dem Babynahrungsproduzenten Hipp auch Edeka und Rewe. Die Agrar GmbH Lärz-Krümmel hat einen sauberen Ruf. „Einmal allerdings“, erzählt Joachim Gawlik, „gab es für uns fast so etwas wie den Todesstoß.“ Das war im Jahr 2002. „Aus einer Futtermittelhalle im nahegelegenen Malchin bekamen wir Nitrofin-verseuchtes Futtergetreide.“ Nitrofin ist ein Unkrautvernichtungsmittel und in der Europäischen Union verboten.


Beim Verfüttern setzt sich das Gift zum Beispiel bei Hühnern und Puten im Fettgewebe fest und führt zu hochgradiger Belastung in der Eier- und Fleischproduktion. Der Skandal machte damals Schlagzeilen, ähnlich wie vor einigen Monaten die Dioxin-Fälle. „Für uns Bio-Landwirte kann so etwas den Ruin bedeuten“, sagt Joachim Gawlik leise. Die Naturrinder GmbH musste Geflügel schlachten und vernichten.


Die beiden Männer haben nicht aufgegeben, sich wieder berappelt. Vorn am Bürogebäude, sichtbar für jeden Besucher, hängt das grüne Schild „Naturland“. Das ist der weltweit bedeutendste Verband für ökologischen Landbau. Sie haben gestritten für die Verhinderung des Bombodroms bei Wittstock. Das Gelände sollte der Bundeswehr als Luft-Boden-Schießplatz dienen. Doch das konnte zum Glück verhindert werden. Andernfalls hätten die Agrar GmbH Lärz-Krümmel und alle anderen ökologischen Betriebe im weiten Umkreis zwischen Mecklenburg und Brandenburg dichtmachen können.
 

Jetzt kümmern sich Gawlik und Geistlinger um ihr Ackerland. Angereichert soll es werden, auf natürliche Weise, versteht sich. Mehr Wasser sollte der Boden danach halten und reicher an Nährstoffen sein. Wie es geht, wissen sie schon: mit Holzkohle. Allein die Quelle für Holzkohle fehlt noch weit und breit. Solche Ideen für eine Bodenverbesserung werden international diskutiert. Lösungen müssen regional gefunden werden. Vielleicht in Mecklenburg, vielleicht in der Öko-Landwirtschaft Lärz-Krümmel.