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Nach der Lektion für Griechenland

erschienen in Clara, Ausgabe 37,

Im Juli musste sich Alexis Tsipras, bedroht und erpresst, dem europäischen Diktat beugen. Im September wurde er erneut zum griechischen Ministerpräsidenten gewählt. Was kann die Linke in Europa aus der griechischen Erfahrung lernen?

Die Hoffnung auf einen politischen Kurswechsel, den viele Menschen mit der Wahl von Alexis Tsipras zum Ministerpräsidenten Griechenlands im Januar verbunden haben, wurde spätestens auf dem Gipfel der Europäischen Union (EU) am 12. Juli enttäuscht. Erpresst von der Europäischen Zentralbank (EZB), die Griechenland den Geldhahn abgedreht hatte, und bedroht von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der einen Grexit durchsetzen wollte, akzeptierte Tsipras ein weiteres Kürzungsdiktat, das neuen Sozialkahlschlag, noch drückendere Schulden und den Ausverkauf öffentlichen Eigentums mit sich bringen wird.    Von Anfang an hatten es die Gläubiger darauf abgesehen, die griechische Linksregierung zu stürzen und korrupte Altparteien wieder in den Sattel zu hieven. Zumindest dieser Plan ging nicht auf: Auch nach den Neuwahlen vom 20. September wird Griechenland von Tsipras regiert. Allerdings fiel die Wahlbeteiligung mit 56 Prozent so schlecht aus wie nie zuvor. Syriza hat viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter verloren, und die ursprüngliche Aufbruchstimmung ist Ernüchterung und Resignation gewichen. Welche Lehren ziehen wir aus den griechischen Erfahrungen? Darüber wird in Europa noch eine Weile zu diskutieren sein.   Gab es eine Alternative, oder war Tsipras unter den gegebenen Kräfteverhältnissen gezwungen, das Diktat der Gläubiger zu akzeptieren? Hätte man auf die Erpressung der EZB mit einem Plan B reagieren, die griechische Zentralbank unter Kontrolle bringen und eine Zweitwährung einführen sollen, wie es der damalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis vorgeschlagen hat? Wäre eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung bereit gewesen, den Gläubigern die Stirn zu bieten, wie es das mutige Nein zum Kürzungsdiktat bei der Volksabstimmung am 5. Juli angedeutet hat? Oder wollte eine Mehrheit keinesfalls einen Grexit und einen offenen Bruch mit den Herrschenden in Europa riskieren? Und welche Folgen hätte ein Ausstieg aus der Eurozone gehabt?    Euro, Nationalismus und deutsche Hegemonie   Klar ist, dass durch einen Grexit Zahlungs-, Liefer- und Produktionsketten unterbrochen worden wären. Viele Importe hätte sich Griechenland vorerst nicht mehr leisten können, die Ersparnisse der Bevölkerung hätten an Kaufkraft verloren. Massive Versorgungsengpässe wären nicht zu vermeiden gewesen, wenn die neue Drachme ohne Stützung durch die EZB in den freien Fall übergangen wäre.    Den Risiken stehen aber auch Chancen gegenüber: Mithilfe einer eigenen Zentralbank kann die Wirtschaft reanimiert und die horrende Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Durch eine Währungsabwertung kann Druck von Löhnen und Renten genommen und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. Längerfristig könnte man die Deindustrialisierung stoppen, indem man neue Kapazitäten aufbaut. Auch die griechische Landwirtschaft hätte dann wieder eine Chance. Ein mit dem Grexit notwendig verbundener radikaler Schuldenschnitt würde zudem die Abhängigkeit von den Gläubigern verringern und die Demokratie wiederherstellen.    Dagegen sind die Perspektiven Griechenlands innerhalb der Eurozone düster: Kürzungs- und Privatisierungsdiktate machen das Land immer ärmer und abhängiger. Und spätestens wenn das Geld aus dem sogenannten Rettungspaket verbraucht ist, wird es die nächste Grexit-Debatte geben.    Würde ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone eine Kettenreaktion mit katastrophalen Folgen auslösen? Beinhaltet ein Rückbau der Eurozone eine Rückkehr zum Nationalismus, und spülen wir mit Kritik am Euro und der EU Wasser auf die Mühlen rechter Parteien? Müssen wir die EU verteidigen, da sie für den friedlichen Ausgleich nationaler Interessen sorgt?    Dass über diese Fragen in Deutschland engagiert diskutiert wird, überrascht nicht. Unsere Geschichte verpflichtet uns, gegen deutsches Hegemoniestreben und aggressiven Nationalismus aufzutreten. Aber hat nicht die sogenannte Eurorettungspolitik die Beziehungen zwischen den Völkern vergiftet und nationalistischen Kräften Auftrieb gegeben? Hat nicht der Euro die deutsche Hegemonie in Europa extrem verstärkt? Und kann die Drohung mit einem Austritt ein Mittel sein, um dieser Hegemonie entgegenzuwirken und ein Ende der Austeritätspolitik durchzusetzen? Jene Fragen werden derzeit in der Linken in Frankreich oder Großbritannien debattiert, wo man die Kritik an der neoliberalen EU und einer postdemokratischen Eurozone nicht länger rechten Parteien wie dem Front National oder der UK Independence Party (UKIP) überlassen will.    Plan A und Plan B   In einem Papier, das unter anderem von dem Mitbegründer der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis sowie Oskar Lafontaine verfasst wurde, heißt es: „Dieses Europa führt nur zu Gewalt innerhalb und zwischen den Nationen: Massenarbeitslosigkeit, enormes Sozialdumping, Beleidigungen Südeuropas durch die deutsche Führung, denen sich alle ›Eliten‹ anschließen.“ Die Europäische Union trage so zum Aufstieg der extremen Rechten bei und sei zum Instrument geworden, mit dem die demokratische Kontrolle über die Produktion und Verteilung der Reichtümer in Europa entsorgt werde. Ein Bruch mit diesem Europa sei „die Voraussetzung dafür, die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern wieder auf eine neue Grundlage zu stellen“.    Ein solcher Bruch bedeutet nicht, dass DIE LINKE fortan für einen Austritt aus der EU wirbt. Die Frage ist, was eine linke Regierung tun kann, wenn sie von der EZB gnadenlos erpresst wird. Die Frage ist, was wir tun, wenn unsere Politik mit EU-Recht in Konflikt gerät, was aufgrund der rasanten Verrechtlichung neoliberaler Verhältnisse in Europa immer häufiger der Fall sein wird. Ziviler Ungehorsam gegen unsoziale und irrationale EU-Regeln sowie die Erarbeitung eines gemeinsamen Plan B kann ein Weg sein, der aus der vermeintlichen Alternativlosigkeit hinausführt.   Natürlich besteht unser Plan A weiterhin darin, europaweit Druck und Gegenmacht aufzubauen, um neoliberale Verträge zu ändern, die Eurozone und die EZB zu demokratisieren, um Lohn- und Steuerdumping zu beenden und anstelle der Kürzungspolitik ein sozialökologisches Investitionsprogramm durchzusetzen, das auch der horrenden Arbeitslosigkeit in Südeuropa ein Ende setzt. Der Plan A besteht darin, in Deutschland deutlich höhere Löhne, Renten und Sozialleistungen zu erkämpfen, was auch die Ungleichgewichte im Außenhandel verringern würde.   Wir sollten uns aber keiner Illusion hingeben. Die deutschen Exportüberschüsse sind inzwischen größer als jene Chinas. Und wahrscheinlicher als die Entstehung einer breiten Bürgerbewegung zur Demokratisierung der EU ist es, dass die fünf „EU-Präsidenten“ Jean-Claude Juncker (EU-Kommission), Mario Draghi (EZB), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe), Donald Tusk (Europäischer Rat) und Martin Schulz (Europäisches Parlament) ihre Pläne zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion durchsetzen. Damit würden die Gewerkschaften in Südeuropa entrechtet, das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente würde weiter eingeschränkt und noch mehr Macht in die Hände neoliberaler Technokraten gelegt. Aufgabe der Linken in ganz Europa ist es, diese reaktionären Pläne zu durchkreuzen. Die verbliebenen sozialen und gewerkschaftlichen Rechte müssen entschlossen verteidigt und demokratische Spielräume zurückgewonnen werden.