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»Nach dem Krieg um sechs unterm Kaiserbild …«

erschienen in Clara, Ausgabe 1,

Ende Juli 2006 reiste Wolfgang Gehrcke nach Beirut. Für Clara berichtet er von persönlichen Begegnungen und historischen Parallelen.

Nach einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses erreichte mich ein Anruf aus Athen: »Fährst Du mit in den Libanon?« Ich sage spontan ja, und wir, acht Abgeordnete aus sechs europäischen Ländern, haben uns auf den Weg gemacht. In meinem Reisegepäck ein Band von Jaroslav Haseks »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk.« Daraus stammt die berühmte Verabredung, die mir heute als Überschrift dient. Und in der Tat, es wechseln die Schauplätze und die Begründungen, aber die Zeiten zwischen den Kriegen werden immer kürzer. Krieg liegt in der Luft - gerade im Nahen Osten.

In Beirut angekommen, werden inmitten der Trümmer zerstörter Wohngebiete in mir Kindheitserinnerungen wach: Bilder des zerstörten Hamburg, mir im Unterbewusstsein gespeichert. Ich bin mir sicher, im Krieg gegen den Libanon wird es keine Sieger und Besiegte, sondern nur Verlierer geben. Israel hat an Sicherheit verloren, die Menschen im Libanon vielfach ihr Leben, ihre Gesundheit, ihren Besitz. US-Bomben und -Raketen, abgeworfen und abgeschossen von Israel über Städte und Dörfer des Libanon, vernichteten alles, was Leben menschlich macht. Das Gleiche geschieht durch Hisbollah-Raketen, abgeschossen auf Haifa.

Beim Besuch von Kriegsverwundeten im Beiruter Hariri-Krankenhaus treffe ich eine Familie. Streubomben haben dem Vater die Beine weggerissen, die Gesichter seiner Kinder entstellt. Seine Frau hält uns, die wir von Journalisten begleitet werden, entgegen: »Ihr sollt uns nicht fotografieren. Ihr sollt uns helfen!« Helfen heißt für mich, gegen Krieg zu kämpfen, auch in Deutschland, auf den Straßen und Plätzen wie im Parlament. Helfen heißt: Rasche humanitäre Hilfe im Libanon, in Israel und in Palästina. Ich habe mittlerweile auf vielen Antikriegskundgebungen gesprochen - im Libanon, in Griechenland und in Deutschland. Ich nehme wahr, dass die Friedensbewegung in sich zerrissen ist. Viele glauben, sich zwischen Israel und Palästina, zwischen Israel und dem Libanon entscheiden zu müssen. Doch diese Alternative ist falsch - entscheiden muss man sich zwischen Krieg und Nicht-Krieg.

Ich erinnere mich aber auch, mitten in Beirut, inmitten der Zerstörungen, an ein Gespräch im Mai dieses Jahres mit einem israelischen Professor, einem linken Weltbürger. Er hält meiner Auffassung, dass man auch mit Hamas und Hisbollah den Dialog braucht, entgegen: »Denke an das Bild des kleinen Jungen mit der großen Mütze aus dem Warschauer Ghetto, der angesichts der Waffen der SS die Hände hinter den Kopf hält.« Ich kenne dieses Bild. Es vergegenständlicht für mich die ganzen Schrecken, den in der Menschheitsgeschichte einmaligen industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden durch Deutsche. Mein israelischer Gesprächspartner zieht daraus die Konsequenz: »Nie wieder sollen unsere Kinder wehrlos sein!« Ich halte ihm entgegen: »Gewalt wird immer wieder Gewalt zeitigen.« Und ich denke an das Gedicht von Bert Brecht:

»Das Große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten, nicht mehr auffindbar nach dem dritten.«

Zerstörte Straßen, Brücken und Häuser können wieder aufgebaut werden. Ebenso dringlich ist Aufbauarbeit im Denken der Menschen. Im Nahen Osten hat sich neuer Hass auf alten Hass getürmt - auf allen Seiten. Bilder des Krieges brennen sich in die Seelen ein. Entweder geht die Zeit der Kriege ihrem Ende entgegen oder die Menschheit.

Wolfgang Gehrcke ist Sprecher für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE.