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Nach »Alle für Kalle« kämpft er nun für alle

erschienen in Clara, Ausgabe 42,

Kalle senkt den Kopf, umfasst mit beiden Händen das Mikrofon und singt seinen Protestsong eines Mieters. »Wohnen in der Stadt, Konto platt. Dispo weg. So ein Dreck. Die Reichen wohnen, wo sie wollen. Die Armen nur noch, wo sie sollen. Schluss damit. Protest muss her! Wohnen ist Menschenrecht doch bitte sehr!« An der Melodie wird gefeilt, der Text ist seit längerer Zeit klar. Karl-Heinz Gerigk wird von allen nur Kalle genannt und ist in Köln vielen Menschen bekannt. Alles begann vor zwei Jahren, als Kalle seine Wohnung in der Fasanenstraße wegen Eigenbedarfs des Besitzers räumen musste.

»In so einer Situation fühlst du dich allein und verlassen, kannst nicht schlafen und versuchst zu kämpfen«, erzählt Kalle. Doch die Nachbarn, Freunde und viele ihm unbekannte Menschen kamen und halfen. Aus Solidarität für Kalle gingen die Menschen auf die Straße. An den Straßenschildern im Viertel prangten überall Aufkleber mit »Alle für Kalle«. Die Medien wurden aufmerksam, der Widerstand wuchs. Am Tag der Zwangsräumung standen über 300 Menschen vor dem Mietshaus von Kalle. Bei diesem Fall war vielen klar: Die Reichen wohnen, wo sie wollen, die Armen, wo sie sollen.

Fernsehsender schickten Korrespondenten, von ZDF bis BBC, von Kölner Express über Süddeutsche Zeitung bis taz wurde über Kalle Gerigk aus Köln berichtet. Der Termin für die Zwangsräumung konnte mehrfach verschoben werden, aber am Ende half alles nichts, Kalle musste raus. Ein Fall von vielen in Deutschland. In den vergangenen 20 Jahren sank die Zahl der Sozialwohnungen von vier Millionen auf gut eine Million. »Der Bund ist einer der größten Spekulanten, wenn es um Wohnungen geht. Der Verkauf von kommunalen Wohnungen muss konsequent beendet werden«, sagt Caren Lay, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN. im Bundestag und Sprecherin für Mieten und Wohnungspolitik.

Kalle verlor seine Wohnung, gewann aber viele Freunde. Diejenigen, die Kalle in Köln schon vorher kannten, standen ihm ohnehin bei. Sie hatten nicht vergessen, dass der Kölner Jung schon seit Jahrzehnten Schwächeren nach Kräften half. In der Obdachlosenhilfe in der Alten Feuerwache zum Beispiel. »Kalle ist absolut verlässlich und spricht vielen Mut zu. Seine Energie bekommt uns gut«, sagt Laura, die in der Alten Feuerwache einmal in der Woche Essen an Obdachlose und andere sozial Bedürftige ausgibt. Kalle sehe mit dem Herzen gut und habe den Blick für die anderen.

Nach der bitteren Erfahrung mit der Zwangsräumung wuchs bei Kalle der Widerstand gegen Mietwucher, Spekulanten und verantwortungslose Besitzer von Mietshäusern. »Mir haben so viele Menschen geholfen, das hat mein Leben verändert. Seitdem weiß ich die Solidarität richtig zu schätzen und gebe nun etwas zurück«, sagte Kalle damals und hat sich genau deshalb in Köln als Mietrebell einen Namen gemacht. Mithilfe von Nachbarn hat er eine andere Wohnung in eben der Fontanestraße gefunden, aus der er einst verjagt worden war. »Als ich wieder einzog, gab es ein großes Straßenfest.«

Inzwischen ist Kalle bei vielen Veranstaltungen zum Thema Mieten und Wohnungspolitik und erzählt seine Geschichte und die vieler anderer in Köln und anderen Städten. »Wir müssen uns wehren. Wohnen ist ein Menschenrecht. Jeder hat ein Recht auf Stadt«, ruft der 52-Jährige in den Saal einer Mietenkonferenz der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Ende Oktober in Köln und erntet Applaus. Man müsse gemeinsam gegen diese und andere soziale Ungerechtigkeiten ankämpfen. »Wer auf Kosten der Menschen mit Wohnungen spekuliert, muss mit unserem Protest rechnen. Denen muss das Gesicht abklappen, wenn sie sehen, wie viele wir inzwischen sind«, sagt Kalle. Er habe über das Bündnis Recht auf Stadt inzwischen viele Kontakte in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern in Sachen Wohnungspolitik knüpfen können. Dadurch ist ein Bündnis entstanden, das immer größer werde. Politisch fühlten sich viele alleingelassen. »Die Einzigen, die mir und uns immer halfen und in den Parlamenten diese Missstände deutlich ansprechen, sind DIE LINKEN«, sagt Kalle. Man müsse mit den parteiübergreifenden Aktionen gegen hohe Mieten, Vertreibung der Menschen aus den Innenstädten und Zwangsräumung gemeinsam kämpfen.

Begonnen hatte für Kalle alles mit der verlorenen Wohnung. In einer Nacht hängten Aktivisten in Berlin ein langes Transparent von der Siegessäule. »Alle für Kalle« war darauf zu lesen. »Ich hatte Gänsehaut, als ich das Foto sah«, erinnert sich Kalle Gerigk. In Köln wissen längst viele Menschen, dass sich das geändert hat. Wenn es um den Kampf gegen Zwangsräumung und Mietwucher geht, heißt es nun: »Kalle für alle.«