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Mit Blindenhund im Bundestag

erschienen in Clara, Ausgabe 21,

Menschen mit Behinderungen müssen immer noch für ihre Rechte kämpfen. Der blinde Jörg Bechtold macht das im Bundesparlament. Er ist Referent für Behindertenpolitik der Fraktion DIE LINKE.

Jörg Bechtold treibt begeistert Sport: Er geht gern klettern, Torball spielen und Bogen schießen, und er fährt gern Kajak. Und das, obwohl der 30-Jährige seit seiner Geburt sehbehindert ist.

 

Jörg Bechtold ist der Referent für Behindertenpolitik der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Politisch aktiv wurde er während seines Studiums der Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie in Marburg. Immer wieder stieß er in der Uni auf Probleme für Menschen mit Behinderungen. Die Webseite der Uni war nicht blindengerecht. Direkt vor dem barrierefreien Eingang zur Mensa war ein Kiosk aufgebaut. »Das sind Kleinigkeiten«, sagt Jörg Bechtold, »aber für die Betroffenen bedeutet es eine riesige Erleichterung, wenn sich da etwas verändert«. Veränderungen, für die er kämpft. Zunächst als autonomer Behindertenreferent im AStA der Uni Marburg, dann im Behindertenbeirat der Stadt und mittlerweile bei der LINKEN im Bundestag.

 

Zu ändern gibt es in Deutschland viel. »Durch meine Behinderung treffe ich oft auf Barrieren und Vorbehalte«, sagt Jörg Bechtold. Wenn man als Behinderter einen Job hat, dann wird einem eine Arbeitsassistenz finanziert. Benötigt man aber nun auch Assistenz im Alltag, wird das selbstverdiente Einkommen sowie das der Angehörigen bis auf festgelegte Grenzwerte herangezogen. Schwierig, denn so leben diese Menschen trotz Jobs auf Sozialhilfeniveau. Ganz zu schweigen davon, dass Menschen mit Behinderungen häufiger erwerbslos sind.

 

Zudem gibt es keine zentrale Behörde, die sich mit dem komplexen Thema Behinderung auseinandersetzt. Auch ist es in Deutschland für Menschen mit Behinderungen immer noch extrem schwierig, Arbeitsplätze zu bekommen. Eigentlich müssten Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderungen vergeben. Der private Sektor erfüllt dies jedoch nicht und bleibt beinahe ungestraft: Durch eine sehr niedrige Ausgleichsabgabe können sich Unternehmen freikaufen.

 

Gegen diese Diskriminierungen setzt sich Jörg Bechtold hauptberuflich ein. Zurzeit arbeitet er an einem Konzept, das allen behinderten Menschen unabhängig von Einkommen und Vermögen eine persönliche Assistenz sichern soll. Es ist ein zäher Prozess, die Bundesregierung dazu zu bewegen, Deutschland behindertenfreundlicher zu machen. Die Anträge der LINKEN werden von den anderen Parteien reflexartig abgelehnt. Das hält Jörg aber nicht von seiner Arbeit ab. »Die Linksfraktion schafft eine Öffentlichkeit für diese Themen«, sagt er stolz.

 

Bei der politischen Arbeit ist für Jörg Bechtold seine Sehbehinderung ein Vorteil. Eine wichtige Maxime der Behindertenbewegung ist: »Nichts über uns ohne uns.« Behinderte Menschen wollen nicht, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Bechtold kann Behindertenpolitik aus ihrer Perspektive machen. Damit er seine Arbeit auch technisch umsetzen kann, hat er eine Sprachsoftware auf seinem Computer installiert, die ihm Dokumente und Webseiten vorliest. Zudem erleichtern drei Assistenzkräfte Jörg Bechtold die tägliche Arbeit im Bundestag. Die studentischen Hilfskräfte Olaf Krostitz und Gülenay Dilekci sowie die Blindenhündin Fanta. Olaf und Gülenay lesen dem Referenten Dokumente vor, die nicht online sind, und führen ihn durch den Bundestag von Ausschussdebatte zu Ausschussdebatte. Die Aufgabe der Schäferhündin ist es, den blinden Referenten vom Büro aus nach Hause zu bringen. Das ist für Fanta harte Arbeit. Sie muss Ampeln erkennen, Treppenaufgänge finden und sich in der S-Bahn zwischen den Menschenmassen bewegen können. »Bald geht sie in Rente«, erzählt Jörg Bechtold und lacht.