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»Mit 60 in Rente wäre gut«

erschienen in Klar, Ausgabe 7,

Berlin. Gerlint Campe hat ein düsteres Bild vor Augen, wenn sie an die Zukunft denkt: »Die Alten sollen noch länger arbeiten, und die Jungen stehen vorm Arbeitsamt Schlange.« Die 44-Jährige lebt in Berlin-Lichtenberg, seit rund zehn Jahren ist sie bei einem Wirtschaftsprüfer beschäftigt. Gerlint Campe muss noch 23 Jahre arbeiten, bis sie fast 67 Jahre alt ist. Das haben Merkel (CDU) und Müntefering (SPD) beschlossen. Campe findet das ungerecht, die zierliche Frau mit den langen rötlichbraunen Haaren seufzt: »Ob man den Arbeitsstress so lange durchhält? Vielleicht schleppe ich mich dann ja mit einer Gehhilfe ins Büro. Und was passiert, wenn es mit meiner Firma nicht so lange klappt?«

Je älter, desto unerwünschter: Zurzeit liegt das Renteneintrittsalter bei etwa 63 Jahren. Rund 1,3 Millionen Menschen über 50 Jahre sind arbeitslos. 2005 hatten nur 20 Prozent der über 60-jährigen Männer einen regulären Job. Bei Frauen waren es sogar nur 11 Prozent. Sollte Gerlint Campe arbeitslos werden, muss sie früher in Rente gehen. Geht sie früher in den Ruhestand, verliert sie Rentenansprüche. Die Rente mit 67 Jahren ist also eine Rentenkürzung.

Hinzu kommt: Die Renten sind in Deutschland schon heute niedriger als in anderen Industriestaaten. Und sie sinken weiter. Betroffen sind vor allem Frauen: 2005 bekam die Hälfte aller Rentnerinnen in Deutschland 442,66 Euro oder weniger im Monat. Gerlint Campe bekommt in ihrer Firma eine zusätzliche Betriebsrente, die die gesetzliche Rente aufstockt. Ob ihre Tochter Beatrice so eine Absicherung je erhalten wird, ist ungewiss. Beatrice Campe ist gelernte Fachangestellte für öffentliche Bibliotheken. Übernommen wurde sie nicht, Berlins Bibliotheken schließen Zweigstellen. Bea Campe ist arbeitslos.

An die Rente denkt die 20-Jährige nicht. »Die ist noch lange hin«, sagt sie. Ihr geht es darum, einen Job zu finden. »Und ihn zu behalten.« Als ihr ein Versicherungsvertreter die Riester-Rente verkaufen wollte, hat sie abgelehnt. »Dafür habe ich gar keinen Kopf«, meint Beatrice Campe, »und kein Geld.« Zwar haben bis zum Sommer dieses Jahres 9,1 Millionen Deutsche eine Riester-Rente abgeschlossen. Aber zwei Drittel aller Riester-Berechtigten wollen oder können sich die private Zusatzrente nicht leisten, darunter vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen.

Von Cora Floh