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Merkel und Westerwelle sind schamlos und zynisch

erschienen in Clara, Ausgabe 14,

Die frisch gewählte Kanzlerin gibt sich als Gewerkschaftsfreundin, der FDP-Chef sieht seine Partei als »die viel bessere Arbeitnehmerpartei als die komplette Opposition zusammen«. Wird vielleicht alles gar nicht so schlimm?

Zunächst springt ins Auge: Die neue Regierung nimmt ihre beiden zentralen Projekte - Steuer- und Gesundheitsreform - erst 2011 in Angriff. Offiziell heißt es, man müsse das Ende der Krise abwarten. Zu vermuten ist jedoch ganz anderes: Im Mai 2010 wird in NRW gewählt. CDU und FDP müssen diese Wahl gewinnen. Wenn nicht, verlieren sie die Mehrheit im Bundesrat. Mit Rücksicht auf NRW hat sich die FDP mit den Forderungen, Mitbestimmung und Kündigungsschutz abzubauen, nicht durchgesetzt. Ihr Konzept einer Kopfpauschale im Gesundheitssystem, in dem die Reinigungskraft den gleichen Krankenkassenbeitrag wie der Manager zahlen soll, stößt bei CSU-Chef Seehofer auf lauten Protest. Punkt eins also lautet: Es gibt ein Leben vor und nach der NRW-Wahl.
Punkt zwei: Trotz NRW zeigt der Koalitionsvertrag: Diese Regierung will die Umverteilung von unten nach oben fortsetzen. Vereinbart sind Steuererleichterungen für Unternehmen, große Erben sowie Hotels und Gaststätten. Zwar wird das Kindergeld um 20 Euro pro Kind erhöht, zugleich aber auch der Kinderfreibetrag. Im Ergebnis erhalten reiche Eltern für ihre Kinder fast doppelt soviel wie Normalverdiener, Hartz-IV-Empfänger gehen leer aus. Sogar der bürgerlichen Presse entlockt dies die Bewertung: »Goldene Zeiten für reiche Eltern«. Zur Reform der Einkommensteuer behauptet die FDP gegen die Union hartnäckig, ihr sogenannter »Stufentarif«, mit dem sie den Spitzensteuersatz um weitere sieben Prozentpunkte auf 35 Prozent absenken will, sei vertraglich vereinbart.

Wer die Steuersenkungen bezahlen soll, bleibt offen. Fakt ist, der Bund finanziert sie »auf Pump«, also mit neuen Schulden -
und tut damit das, was für die FDP stets als Teufelszeug galt. Bleibt nur ein Problem: Weitere Schulden vertragen sich nicht mit der sogenannten Schuldenbremse, die gerade erst - mit Unterstützung der SPD - ins Grundgesetz geschrieben wurde: Diese verpflichtet die Bundesländer, ab dem
Jahr 2011 Schulden abzubauen, um im Jahr 2020 schuldenfrei zu sein.
Da hilft dann nur noch Tricksen. Während die Länder schon ab 2011 ausgeglichene Haushalte vorlegen müssen, darf der Bund immerhin jährlich acht Milliarden neue Schulden aufnehmen. Außerdem kann er diese sogenannten »Schattenhaushalte«, die nicht im jährlichen Haushaltsplan auftauchen, verstecken. Fazit: Die auf den Bund zukom-menden Schulden werden
auf Pump finanziert und die restlichen 60 Prozent auf Länder und Kommunen abgewälzt. Denen steht aber das Wasser bis zum Hals. Weil sie keine Schulden mehr machen dürfen, wird die Sparpolitik bei ihnen abgeladen. Im Klartext: Länder und Kommunen sollen sich das fehlende Geld durch Privatisierung, Personalabbau und Lohnkürzungen beschaffen. Während Merkel und Westerwelle Steuergeld für ihre Reichen-Klientel und die Banken verjubeln, sollen Länder und Gemeinden die »Dreckarbeit« machen. Eine solche Politik ist nur noch schamlos und zynisch.

Noch mehr Lohndumping

Zur Umverteilung von unten nach oben gesellen sich verschärftes Lohndumping und weitere Entsolidarisierung. Die neue Regierung will prekäre, also unsichere und schlecht bezahlte Arbeitsplätze weiter ausbauen. Sie erlaubt Unternehmen, Beschäftigte unbegrenzt befristet anzustellen. Sie lässt zu, dass Unternehmen Löhne zahlen dürfen, die 30 Prozent unter Tarif liegen. Sämtliche Arbeitsmarktinstrumente stehen unter Vorbehalt. Die steuerfinanzierten Sozialleistungen für jene Menschen, »die ökonomisch nicht mehr gebraucht werden« (Sarrazin, SPD), werden auf Tauglichkeit abgeklopft. Dabei soll
das Konzept eines »bedarfsorientierten Bürgergeldes«, d.h. einer faktischen Absenkung des Hartz-IV-Regelsatzes um 20 Prozent berücksichtigt werden. Die Gebühren für Müll und Abwasser sollen steigen. Nicht zu vergessen der Trick des kaschierten Sozialabbaus über die angekündigte Kürzung der Bundesmittel für die Bundesagentur für Arbeit. Auch Mieterinnen und Mieter soll es treffen: Die Frist für Vermieter-Kündigung soll von derzeit neun Monaten (je nach Dauer des Mietverhältnisses) auf grundsätzlich drei Monate verkürzt werden.

Zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise fällt der Koalition nur ein lapidares »weiter so« ein. Die Zockerei mit Finanzprodukten steht in neuer Blüte, 14000 Investmentbanker im Sold der Deutschen Bank strichen hierzulande im dritten Quartal dieses Jahres 132 Prozent höhere Boni als im Vorjahr ein, die Kapitalhilfen an deutsche Geldhäu-ser kosteten bislang ca. 200 Milliarden an Steuergeldern. Die Bundesregierung aber mästet die Banken weiter. Die berüchtigten Kreditverbriefungen sollen mit Staatsgeldern wieder angekurbelt werden.

DIE LINKE vor gewachsener Verantwortung

DIE LINKE als die faktische Oppositionsführerin ist durch ihren grandiosen Wahlerfolg vor neue Herausforderungen gestellt. Die Grünen haben sich einer neuen Klientel verschrieben, dem »kreativen Bürgertum« (Künast). Die jüngsten Vorgänge im Saarland, wo der grüne Landeschef auf der Gehaltsliste eines dubiosen Unternehmers steht, der zugleich für die FDP die Koalitionsgespräche führt, sprechen für sich. Die SPD ist nach dem historischen Debakel noch lange Zeit mit dessen Aufarbeitung beschäftigt - mit dem Effekt der Unberechenbarkeit. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Die deutliche schwarz-gelbe Mehrheit und die erneute kräftige Absenkung der Wahlbeteiligung zeigen, dass viele Menschen kaum noch an die Möglichkeit glauben, die Gesellschaft verändern zu können, und deshalb resignieren. Mit Blick auf die Parteienlandschaft kommt einzig der LINKEN die Aufgabe zu, gegen die Passivität und Resignation anzugehen. Soziale Gerechtigkeit, Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit und Verhinderung von Kriegsbeteiligung müssen als machbar und durchsetzbar gezeigt werden, in und außerhalb der Parlamente. So kann die Ratlosigkeit überwunden werden.

Die Regierung Schröder/Fischer hat vor 10 Jahren dem Neoliberalismus Tür und Tor geöffnet. Lohndumping, Umverteilung von unten nach oben, Deregulierung des Finanzmarkts, Privatisierung der Lebensrisiken und Beteiligung an Militäreinsätzen hießen die Leitlinien. Die schwarz-gelbe Regierung verschärft diese Politik, z.T. noch mit verdeckten Karten. Aber schon jetzt tritt ihre Willfährigkeit offen zu Tage, die Rechnung der Banken, Versicherungen und Industriekonzerne für die üppigen Spenden zu begleichen.

Die Bundestagswahlergebnisse zeigen für NRW z.B. einen engen Zusammenhang von schwacher Wahlbeteiligung und hohen SPD-Verlusten bei abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen, aber auch von hohen, nicht ausgeschöpften Potentialen für Zugewinne der LINKEN in diesen Wählerschichten. Wir müssen deshalb die Gründe für bestehende Schwachstellen analysieren. Vor allem müssen wir die soziale Verteidigung organisieren - im Parlament, in Betrieben, in Schulen, in der Nachbarschaft und auf der Straße. Den Mutlosen neuen Mut zu geben und dem berechtigten Zorn eine politische Richtung, das ist unsere Aufgabe in diesen Zeiten.