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Mehr direkte Demokratie

Von Halina Wawzyniak, erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Mehr Mitbestimmung, mehr politischen Einfluss wünscht sich eine Mehrheit der Bevölkerung. Trotzdem gibt es bis heute keine Volksentscheide auf Bundesebene. Halina Wawzyniak will das ändern.

Wer sich im Fernsehen eine Sitzung des Deutschen Bundestages anschaut, sieht: Die Rituale sind erstarrt, Schaufensterdebatten bestimmen das Prozedere, man ahnt, wie am Ende abgestimmt wird. Bundestagsausschüsse tagen hinter verschlossenen Türen, Lobbyisten gehen im Hohen Haus aus und ein, schreiben mit an Gesetzestexten, sind »Einflüsterer« und finanzstarke Interessenvertreter – ohne dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird. »Macht Euer Kreuz und lasst uns ansonsten in Ruhe« – dieses Signal wird damit ausgesendet. Aber damit geben sich immer mehr Menschen immer weniger zufrieden. 87 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sind laut einer Emnid-Umfrage für Volksentscheide. Das ist eine kluge und mehr als qualifizierte Mehrheit. Sie wird jedoch von den Regierenden ignoriert, im Übrigen von bisher allen Regierenden.

Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland ist somit vor allem indirekte Demokratie: ausgeübt durch gewählte Vertreterinnen und Vertreter, in Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben und versehen mit einem gewaltigen bürokratischen Überbau. Zwischen den Wahlen sind Einwohnerinnen und Einwohner davon ausgeschlossen, demokratische Rechte in Anspruch nehmen zu können. Sie werden nicht gefragt, wenn neue Gesetze beschlossen werden, die ihr Leben maßgeblich verändern. Und schon gar nicht werden sie aufgefordert, über wichtige, ihren Alltag betreffende Dinge mitzuentscheiden. Zum Beispiel über Strategien gegen ständig steigende Mieten infolge von Privatisierungen und mangelnder staatlicher Wohnungsbauförderung. Wären sie gefragt worden, hätten sie möglicherweise kundgetan, dass die Mietpreisbremse, wie sie vom Bundestag beschlossen wurde, nichts bringen wird. Jedenfalls nichts für sie als Mieterinnen und Mieter.

Deutschland ist in Fragen direkter Demokratie ein Entwicklungsland. Wir verfügen zwar über die technische Möglichkeit für eine direkte politische Teilhabe, aber es wurden keine politischen Instrumente dafür geschaffen. Seit Jahren will DIE LINKE und wollen auch viele Abgeordnete von Grünen und SPD, dass Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglicht werden. Demokratie ohne eine solche Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeit ist defizitär.

Einzig die Union aus CDU/CSU ist der Meinung, es genüge, wenn gewählt werden darf, der Rest sollte dann den Politikerinnen und Politikern überlassen werden. Eine arrogante, längst nicht mehr zeitgemäße Haltung. DIE LINKE hat vor der parlamentarischen Sommerpause einen Gesetzentwurf zur »Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung« vorgelegt. Es geht um Grundrechte für jedermann, um Volksbegehren, -entscheide und -initiativen auch bei bundespolitischen Angelegenheiten, um ein Wahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft und um Transparenz. Das Grundgesetz lässt Abstimmungen zu, es ist an der Zeit, den Bürgerinnen und Bürgern auch das Recht dafür zu geben.

 

Halina Wawzyniak ist rechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE