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Mehdorn tritt ab - die Misere bleibt

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

Statt den Börsengang der Deutschen Bahn AG zu feiern, musste Hartmut Mehdorn im März 2009 den Chefsessel räumen.

Das jähe Ende seiner Karriere hatte sich schon seit Wochen abgezeichnet, als sich mit SPD und Gewerkschaften auch bisher loyale Weggefährten von ihm abwandten. Letzter Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und einen Schlussstrich unter die fast zehnjährige Ära Mehdorn setzte, war die DB-Schnüffelaffäre. Was vorgeblich der »Korruptionsbekämpfung« und Verhinderung von »Geheimnisverrat« dienen sollte, erwies sich immer mehr als jahrelange breite elektronische Ausspähung der DB-Mitarbeiter mit Hilfe einer privaten Detektei. »Dies ist ein investigativer Angriff gegen politisch engagierte Eisenbahner, Gewerkschaftsmitglieder und Interessenvertretungen«, erklärt der Frankfurter Bahn-Betriebsrat und Privatisierungskritiker Alfred Lange. Bahn-Sicherheitsingenieur Hans-Dietrich Springhorn bringt es auf den Punkt: »Es ist, als ob man einem die Hose runtergezogen hätte.«

Anfang März beschimpfte Mehdorn noch die mit der Aufarbeitung der Affäre beauftragten Ex-Bundesminister Gerhart Baum und Herta Däubler-Gmelin. Die Ermittler erweckten einen »Eindruck der Befangenheit« und ließen sich von »sachfremden Erwägungen« leiten, behauptete er. Das brachte selbst Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) auf die Palme. Wenig später forderten die Gewerkschaften seinen Abgang. So war Mehdorn am Prellbock seiner Laufbahn angelangt.

Auch wenn zuletzt nur noch CDU/CSU-Politiker zu ihm hielten, verkörperte Mehdorn vor allem den Bankrott sozial-demokratischer Bahn- und Verkehrspolitik. Kanzler Gerhard Schröder hatte ihn Ende 1999 zum Bahnchef gemacht und mit einem Blankoscheck für den Börsengang ausgestattet. Seither meldete sich die SPD-Spitze aus der politi-schen Debatte über die Zukunft des Schienenverkehrs ab. Die Probleme der Bahn sollten der (Kapital-)Markt und ausgerechnet Mehdorn, der von Haus aus nichts mit Eisenbahn zu tun hatte, richten.
Bei der bundeseigenen Deutschen Bahn waren die Verkehrsminister als Vertreter des Eigentümers in den vergangenen 10 Jahren abgemeldet. Der Bahnchef verfügte über allerbeste Kontakte ins Kanzleramt, die ihm in Krisensituationen regelmäßig den Sessel retteten. So saß er in dieser Zeit auch den Wirbel um Bonuszahlungen für DB-Spitzenmanager im Zusammenhang mit dem Börsengang, um ein neues Preissystem, um eine Schaltergebühr beim Ticketverkauf oder schadhafte ICE-Billigachsen aus. Im Bahn-Management verdrängten Juristen und Betriebswirte zunehmend gestandene Eisenbahner, Praktiker und Privatisierungskritiker. Akteure aus bahnfremden Branchen bis hin zu konkurrierenden Verkehrsträgern wie der Automobil- und Luftfahrtindustrie übernahmen endgültig das Kommando.

Mehdorn war es stets unangenehm, dass aufmerksame Parlamentarier, Journalisten und Gewerkschafter seinen Kurs zu kritisieren wagten. Als sich 2007 an der SPD-Basis massiver Widerstand gegen die Bahnprivatisierung formierte, reagierte der Bahnchef im Sinne Margaret Thatchers: »Zu meinem Kurs gibt es keine Alternative.« Dorothée Menzner, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, erinnert sich an seine Gastspiele im Verkehrsausschuss: »Er trat stets wie ein kleiner Sonnenkönig auf, der uns als seine Lakaien betrachtete und dem die Beantwortung von Fragen eine lästige Pflichtübung war.«

Nach der Privatisierung vergleichbarer Großunternehmen wie Lufthansa, Post und Telekom ist nur noch die Deutsche Bahn AG zu 100 Prozent in Bundesbesitz. Mehdorn filetierte den DB-Konzern durch permanente Umstrukturierungen, trimmte ihn auf kurzfristige Rendite und richtete so immensen Flurschaden an. Für seine »Global Player«-Visionen hat die DB weltweit Logistikfirmen aufgekauft und neue Milliardenschulden gemacht. Mit einer flächendeckenden Bahn für Bürger und Gewerbe hatte der Firmenchef wenig am Hut. Weite Teile des Landes schnitt er vom Bahn-Güterverkehr ab, weil dieser auf Kurz- und Mittelstrecken angeblich unrentabel sei. Im Personenverkehr bilden ICE-Rennstrecken den Schwerpunkt, während ganze Regionen ohne Fernverbindungen zurückblieben. Um mit aller Macht Milliardengewinne einzufahren, sparte das Management zu Lasten von Mensch und Material und verscherbelte profitable DB-Tochterunternehmen an Private. Der schon für 2005 geplante Weg an die Börse wurde indes durch die vorgezogene Bundestagswahl und Widersprüche im Regierungslager zum Hindernislauf.

Den ursprünglich für den 27. Oktober 2008 vorbereiteten Börsengang blies der Bundesfinanzminister Mitte Oktober - buchstäblich in letzter Sekunde - per Order an Mehdorn ab. Peer Steinbrücks »Sinneswandel« ist kein Zufall: Er hätte im Krisen- und Wahljahr 2009 einem kritischen Volk erklären müssen, weshalb er zulässt, dass das Vermögen der Bahn für einen Bruchteil seines Wertes an renditehungrige Kapitalbesitzer verhökert wird. Mitte März trat auch Minister Tiefensee die Flucht nach vorne an und erklärte, ein Börsengang stehe für die nächsten Jahre »nicht mehr auf der Agenda«.
Börsengang abgeblasen - für immer?
Weltweit gibt es kein Vorbild für eine gelungene Bahnprivatisierung. Weil die Bahn als Rückgrat eines flächendeckenden, ökologischen und sozialen Verkehrssystems nicht in die Hände von Kapitalgruppen gelangen darf, sagen Do-rothée Menzner und DIE LINKE. im Bundestag weiter Nein zu jeglicher Art der Privatisierung. Die Bahn muss in öf-fentlichem Besitz bleiben und im Dienst der Allgemeinheit stehen, fordern sie. Ihr Einsatz und die Kampagnearbeit des Bündnisses »Bahn für Alle« haben mit dafür gesorgt, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Ansicht teilt.

Doch Wachsamkeit ist weiter geboten. Denn der neue DB-Chef und bisherige Daimler-Manager Rüdiger Grube ist vor allem ein Mann der Auto-, Luftfahrt- und Rüstungsindustrie und steht im Wesentlichen für den alten Kurs. So wurde die Chance vertan, vor einer Neubesetzung der Konzernspitze die Bahnstrategie neu auszurichten und die Weichen für eine umweltfreundliche Mobilität für Menschen und Wirtschaft zu stellen. »Die Bahn braucht Führungspersonen mit Erfahrung im Bahnbereich, die mit frischem Wind und Ideen die DB AG wieder voranbringen und das Vertrauen der Belegschaft haben«, fordert die verkehrspolitische Sprecherin der LINKEN.

Dass die Bundesregierung auf Privatisierungskurs bleibt, zeigt auch das Tauziehen um eine Privatisierung der Deutschen Flugsicherung. 2006 war ein gegen die Stimmen der Linksfraktion beschlossenes Gesetz an den verfassungs-rechtlichen Bedenken des Bundespräsidenten gescheitert. In Kernbereichen der Luftsicherheit dürfen gewinnorientierte Privatunternehmen nicht zum Zuge kommen, so die Fraktion. Nun möchte die Bundesregierung alsbald den Grundgesetzartikel 87d ändern, der für die Flugsicherung die bundeseigene Verwaltung vorgibt. »Damit wäre der Boden für eine materielle Privatisierung der Flugsicherung bereitet«, kritisiert Dorothée Menzner. »Unter Täuschung der Öffentlichkeit hält die Bundesregierung an ihrer neoliberalen Privatisierungspolitik fest. Die SPD gibt sich kurz vor der Bundestagswahl für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit her, die eine schwarz-gelbe Regierung nicht hätte.«