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Mann liebt Mann und Frau liebt Frau

erschienen in Clara, Ausgabe 13,

Toleranz reicht nicht. Akzeptanz für Lesben und Schwule ist vonnöten.

Jörg hat gute Gründe, vorsichtig und zurückhaltend zu sein. Andere Teenager sind da unbedarfter. Sie knutschen in aller Öffentlichkeit mit der Liebsten oder gehen eng umschlungen durch die Straßen. Doch Jörg ist anders. Der 17-Jährige würde seinen Freund nie mitten auf dem Schulhof küssen. Eine Freundin, der er sich anvertraute, hat es weitererzählt. Und inzwischen weiß die ganze Schule, dass Jörg schwul ist. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: »Du Schwuchtel!«, beschimpften ihn Mitschüler. Als er sich in der Klasse mal neben einen anderen Jungen setzte, rückte der von ihm ab und sagte: »Ich setz mich nicht neben so einen Schwuli!«

Die Homophobie - also irrationale Feindseligkeit und Angst vor homosexuellen Menschen - zeigt sich nirgendwo so offen wie in Deutschlands Schulen. Zahlreiche Studien belegen das. Der Kieler Sozialpsychologe Bernd Simon befragte 2006 mehr als 900 Berliner Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 20 Jahren nach ihrer Einstellung zur Homosexualität. Fast die Hälfte der Befragten fand es abstoßend, wenn sich zwei Schwule auf der Straße küssen. Trotz der seit 2001 in Deutschland eingeführten Lebenspartnerschaft für lesbische und schwule Paare, trotz offen homosexuell lebender Fernsehstars und schwuler Bürgermeister in Berlin, Hamburg und dem bayerischen Bodenmais, von echter Akzeptanz sind wir noch weit entfernt.

»Homophobie hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen«, sagt Barbara Höll, die lesben- und schwulenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Gerade junge Lesben und Schwule haben ihrer Erfahrung nach große Schwierigkeiten, sich in unserer Gesellschaft angenommen und akzeptiert zu fühlen. Und dagegen will sie etwas tun: »Es geht doch darum, die Vielfalt der Lebensweisen und sexuellen Orientierungen zu akzeptieren.« Lehrer müssten da offensiver werden und Diskriminierungen thematisieren und ahnden. Offen lesbische Lehrerinnen oder schwule Lehrer wären ein Vorbild für Jugendliche. Doch die Norm bleibt rein heterosexuell. In Schulbüchern, im Lehrplan und in den Diskussionen im Unterricht fehlt die Vielfalt. Lesbische und schwule Beispiele, etwa im Englischunterricht, würden schon helfen: Mary meets Sue oder John meets Jack.

Alle sind gleich - nur Schwule und Lesben nicht

Immerhin heißt es im Grundgesetz, jeder Mensch hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Doch dieses Recht wurde homosexuellen Männern in Deutschland jahrzehntelang abgesprochen. Denn die Bundesrepublik übernahm den von Nationalsozialisten 1935 verschärften §175. Darin heißt es: »Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.« Schwule Männer wurden auch nach dem Nationalsozialismus wieder verfolgt, verurteilt und inhaftiert. Nur weil sie anders liebten. Gegen rund 100000 Männer ermittelte die bundesdeutsche Staatsanwaltschaft in den Jahren 1945 bis 1969. Viele von ihnen verloren ihren Arbeitsplatz allein schon wegen der Ermittlungen. Rund 50000 Männer wurden verurteilt und damit Biografien zerstört. Unter Adenauer argumentierte die Regierung, mit Hilfe des Strafgesetzes müsse »ein Damm gegen die Ausbreitung des lasterhaften Treibens« errichtet werden. Und sie behauptete gar: »Wo die gleichgeschlechtliche Unzucht um sich gegriffen und großen Umfang angenommen hat, war die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kraft die Folge.«

Anders als die Bundesrepublik bezeichnete die DDR den §175 - in der Fassung von 1935 - als »typisch nationalsozialistisches Unrecht« und kehrte zur weniger scharfen Fassung der Weimarer Republik zurück. Homosexualität verletze »das Sittlichkeitsgefühl unserer Werktätigen«, hieß es dennoch. Auch in der DDR wurden rund 3000 Männer abgeurteilt. Ab Ende der 1950er Jahre blieben erwachsene Homosexuelle jedoch straffrei, da die Behörden von einer Strafverfolgung absahen. Und 1989 wurde der §175 ganz gestrichen.

Die Sexualität zwischen erwachsenen Männern ist erst seit 1969 in der DDR nicht mehr strafbar. Im Zuge der Rechtsangleichung zwischen den beiden deutschen Staaten wurde der §175 im Jahr 1994 ganz aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. Weitere acht Jahre später wurden die schwulen Opfer des Nationalsozialismus rehabilitiert. Das sollte auch mit den Opfern des §175 nach 1945 geschehen, befand die Fraktion DIE LINKE. »Immerhin ist die Verfolgung der Schwulen die größte Menschenrechtsverletzung in der Geschichte der Bundesrepublik«, findet Barbara Höll. Doch die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP lehnten den Antrag Anfang Mai kategorisch ab. »Das Thema wird weiterhin auf unserer Tagesordnung bleiben«, verspricht Höll. Immerhin hat sich das Berliner Abgeordnetenhaus im März einstimmig zu dem Unrecht bekannt und seine Regierung aufgefordert, tätig zu werden.

Fremd im eigenen Körper

Und noch ein weiteres Thema beschäftigt Barbara Höll zurzeit sehr: Das Transsexuellengesetz (kurz TSG). »Dieses Gesetz bedeutet einen massiven Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Unversehrtheit«, kritisiert die Politikerin. So sind Menschen, die ihren Personenstand unter Mithilfe des TSG wechseln wollen, gezwungen, ihre Fortpflanzungsfähigkeit aufzugeben. DIE LINKE hat daher einen Antrag in den Bundestag eingebracht, das TSG gänzlich aufzuheben und stattdessen das Vornamens- und Personenstandsrecht so zu ändern, dass die entwürdigenden Vorschriften des alten Gesetzes entfallen.

Intersexuelle Menschen haben keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale. Sie haben körperlich von beiden Geschlechtern etwas. Viele von ihnen werden direkt nach der Geburt operiert. Meist überreden Ärzte die Eltern, ein eindeutiges Geschlecht festzulegen. Nicht selten fühlen sich diese Menschen später im Leben fremd im eigenen Körper. Viele Intersexuelle haben große Schwierigkeiten. Einige klagen gegen die medizinischen Eingriffe. DIE LINKE fordert daher, dass operative Eingriffe nur noch nach der Pubertät erfolgen dürfen, wenn die Intersexuellen selbst entscheiden können, wer sie sein möchten.
»Ich stelle häufig fest, dass Intersexuelle und Transsexuelle keine Lobby haben«, sagt Barbara Höll, und tatsächlich, selbst innerhalb der Organisationen von Lesben und Schwulen führen sie ein Schattendasein. Sie sind nicht nur eine zahlenmäßig kleine Gruppe, auch ihre Interessen werden kaum zur Kenntnis genommen. Barbara Höll setzt sich trotzdem für deren Interessen ein. Dies ist nicht immer leicht, denn während die Öffentlichkeit Schwule und Lesben wenigstens zur Kenntnis nimmt, sind die Transsexuellen und Intersexuellen außerhalb jeglicher Öffentlichkeit.

Barbara Höll spricht deshalb von ihrem Engagement für die sexuelle Vielfalt. Sie meint damit, die Vielfalt der Lebensweisen, ob homosexuell, transsexuell oder »gewöhnlich« heterosexuell. Diese sexuelle Vielfalt müssten einfach alle Menschen gegenseitig akzeptieren. Doch die Vorurteile sind in der Gesellschaft immer noch sehr groß. Deshalb müssten weiter engagiert dicke Bretter gebohrt werden.

Barbara Höll ist überzeugt: »Für uns gibt es auch in der nächsten Legislaturperiode noch viel zu tun. Denn solange die Vielfalt menschlichen Liebens und Lebens keine politische, juristische und gesellschaftliche Gleichstellung erfährt, so lange sind Initiativen zur Herstellung von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung und weitere Auseinandersetzungen zum Thema Homophobie und Menschenrechte notwendig.«