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Lotta Queer

erschienen in Lotta, Ausgabe 11,

Queer und Feminismus – (K)eine Liebesheirat? Ein Nachdenken über offene Fragen.

Gut ein Vierteljahrhundert nach der Begriffsentstehung Queer und der dazugehörigen Theorie und Praxis, ist beides in der Öffentlichkeit immer noch weitestgehend unbekannt. Queer kommt aus dem Elfenbeinturm der Universität. Die Theorie ist mit der amerikanischen Philosophin Judith Butler verbunden. Queer stellt die Heterosexualität infrage und damit sämtliche kulturellen und gesellschaftlichen Normen, die eine andere Sexualität herabwürdigen. Queer bestreitet, dass zwischen einem sozialen und einem biologischen Geschlecht unterschieden werden kann. Schon das biologische Geschlecht sei bereits eine Konstruktion, so die These.

Die Unterscheidung zwischen einem biologischen und sozialen Geschlecht geht auf die französische Philosophin Simone de Beauvoir zurück. „Man wird nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht“, lautet ihr berühmter Satz. Nachzulesen in ihrem Buch „Das andere Geschlecht“, ein Werk, das für den westlichen Feminismus im Nachkriegseuropa prägend war. Queer grenzt sich davon ab, blickt radikaler auf Menschen als einzigartige Individuen. Sagt, es gebe weder Frauen noch Männer. Dann stellt sich jedoch die Frage, wenn es keine Frauen per se gibt, wie und warum sollte man sie befreien, so wie es sich der Feminismus vorgenommen hat? Entsprechend groß war der Aufschrei innerhalb der feministischen Bewegung. Die Feministin Frigga Haug bezichtigte die Queertheorie der Untergrabung der Frauenbefreiung. Doch auch die Queer-Ikone Judith Butler nimmt für sich in Anspruch, Feministin zu sein. Wie passt das zusammen? Vielleicht lässt sich dieses Paradoxon auflösen, wenn wir die unterschiedlichen Traditionslinien betrachten. Der wissenschaftliche Zugang vieler Feministinnen war historisch oder soziologisch geprägt. Sie schauten sich an, zu welchen Zeiten und auf welche Weise Frauen in der Geschichte unterdrückt wurden. Und sie betrachteten die Gegenwart. Sie wiesen Strukturen nach, über die Frauen benachteiligt werden. Beispielsweise durch die Entlohnung von Arbeit oder durch staatliche Strukturen wie Ehegattensplitting. Der Zugang von Queer ist ein um die Philosophie erweiterter Blick, zugleich auch ein Engagement für die Rechte von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten.

Die Queertheorie trat erst nach 1989 auf den Plan und bricht bewusst mit einer historischen Perspektive. Darum wird der Queertheorie – nicht zu Unrecht – ein ahistorischer Blick vorgeworfen. Queer möchte festgefügte Identitäten infrage stellen. Das „wir“ Frauen oder „wir“ Männer sei eine Konstruktion, die auch biologisch nicht beweisbar sei. Ein Punkt, der heute viel gelassener gesehen wird. Denn mit dem verstärkten Blick auf intersexuelle Menschen, also Menschen, die biologisch beide Geschlechter aufweisen, ist die damals noch gewagt klingende These mittlerweile durch den Gesetzgeber untermauert. Mit der Änderung des Personenstandsgesetzes im Jahr 2013 wurde festgelegt, dass bei der Geburt eines intersexuellen Kindes kein Geschlechtseintrag mehr vorzunehmen ist. Damit wurde anerkannt, dass es nicht nur eindeutig männlich oder weiblich gibt. Queer ist zudem ein Projekt, das versucht, Lesben, Schwulen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen eine Stimme zu geben. Es entstanden neue Bündnisse, geschlechtliche und sexuelle Minderheiten erkannten das Verbindende, nachdem zuvor noch meist getrennte Wege beschritten wurden. Queer steht für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch, auch wenn es dabei manchmal zu Stilblüten kommt. Vereinfacht könnte man sagen, dass der ahistorische und philosophische Zugang von Queer die gesellschaftlichen Strukturen – gerade auch die Benachteiligung von Frauen – vernachlässigt hat und der Feminismus viel zu wenig die Ungleichheitsdimensionen, die durch die Norm der Heterosexualität entstehen, berücksichtigte. Queer und Feminismus zu einem Ganzen zusammenzufügen, wie es der Begriff Queerfeminismus suggeriert, funktioniert nicht einfach so. Bei näherer Betrachtung allerdings ergeben sich viele Berührungspunkte. Sie zu suchen, würde sich lohnen. Für alle.

Bodo Niendel ist queerpolitischer Referent der Fraktion DIE LINKE